Kirchen und Politik in der Ukraine

Kirchen und Politik in der Ukraine

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Die in vieler Hinsicht komplizierte Situation in der Ukraine spiegelt sich auch in der religiösen Landschaft dieses Staates wider. Durch die Lage des Landes an der Schnittstelle zwischen dem östlichen und dem westlichen Christentum und aufgrund seiner historischen Entwicklung bestehen die großen Kirchen des Ostens und des Westens in der Ukraine seit langem: die Orthodoxie, die katholische Kirche in ihrer Ausprägung als griechisch-katholische („unierte“) und als römisch-katholische Kirche, sowie verschiedene Formen des Protestantismus. Dazu hat das Judentum eine lange Tradition in der Ukraine, und die Krim ist die Heimat der Tataren, die mehrheitlich den Islam bekennen. Obwohl sich die Ukraine in Umfragen als eines der europäischen Länder mit dem höchsten Grad an Religiosität erweist, dürfen doch auch die Agnostiker und Atheisten nicht vergessen werden, die es zumeist als Folge der kommunistischen Herrschaft auch gibt. Insgesamt zeigt sich also in religiöser Hinsicht ein buntes Bild.

Die politischen und militärischen Ereignisse der letzten Jahre haben ihre Auswirkungen auch auf die Kirchen gehabt; umgekehrt hatten die Entwicklungen in den Kirchen, vor allem innerhalb der Orthodoxie, politische Folgen. Das hängt damit zusammen, dass sich die orthodoxe Kirche im Zusammenhang mit dem Zerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeit der Ukraine mehrfach gespalten hat. Heute gibt es drei orthodoxe Kirchen (neben einer Reihe von kleinen und unbedeutenden Splittergruppen): die Ukrainische Orthodoxe Kirche in Gemeinschaft mit dem Moskauer Patriarchat (UOK-MP), die Ukrainische Orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats (UOK-KP) und die Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche (UAOK). Sie stehen in einem Konkurrenzverhältnis zueinander, erkennen sich gegenseitig nicht an und beanspruchen jeweils, die wahre und legitime orthodoxe Kirche der Ukraine zu sein.

Die UOK-MP ist nach der Zahl der Gemeinden die größte Kirche, hat aber in den letzten Jahren erheblich an Mitgliedern verloren (es gibt jedoch keine zuverlässige kirchliche Mitgliederstatistik). Sie gehört zur Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) und verfügt innerhalb dieser über eine gewisse Selbstverwaltung. Ihr Oberhaupt, der den Titel „Metropolit von Kiew und der ganzen Ukraine“ trägt, ist durch sein Amt automatisch Mitglied im Heiligen Synod, dem Leitungsgremium der ROK. Solange die Ukraine zum Russischen Reich bzw. zur Sowjetunion gehörte, war die ROK die einzige orthodoxe Kirche im Lande; sie unterstützte auch die Tendenzen zu einer Russifizierung des Landes, die von den russischen Behörden beabsichtigt war. Bis heute ist sie von den drei Kirchen die einzige, die von der Gesamtorthodoxie als „kanonisch“, also als (im kirchlichen Sinne) legitim anerkannt wird.

In den frühen 1990er-Jahren haben sich in komplizierten Prozessen die beiden anderen genannten Kirchen konstituiert. Die UAOK beruft sich auf eine Gründung während der Wirren nach der Oktoberrevolution und deren Erneuerung in der deutschen Okkupation; diese Kirche existierte in der Nachkriegszeit in der Emigration (vor allem in Kanada und in den USA). Eine kirchliche Einbindung hatte sie durch das Patriarchat von Konstantinopel, dem sich die Bischöfe nach Kriegsende unterstellt hatten. Die UAOK hat ihren Schwerpunkt im Westen des Landes, der historisch eine wichtige Rolle für die Entwicklung des ukrainischen Nationalbewusstseins gespielt hat und wo es bis heute eine deutliche Ablehnung von Russland gibt.

Von ihr spaltete sich die inzwischen viel größere UOK-KP ab, deren jetziges Oberhaupt Filaret eine umstrittene Figur ist, zumal er schon in der Zeit der Sowjetunion Metropolit der ROK in Kiew gewesen ist. Den von ihm beanspruchten Titel eines Patriarchen erkennt keine andere orthodoxe Kirche an. Wie die UAOK betont die UOK-KP den ukrainischen Charakter der Orthodoxie im Lande und verlangt eine Unabhängigkeit von Moskau.  Sie wurde seit der Unabhängigkeit von einigen ukrainischen Präsidenten als Nationalkirche der Ukraine unterstützt. Sie belasten aber sowohl die Tatsache, dass sie nicht kanonisch ist, also von der Weltorthodoxie nicht anerkannt wird, als auch die Person des greisen Filaret, der seit 1966 in Kiew als Vertreter der russischen Orthodoxie fungiert hat. Nationalbewusste Ukrainer werfen ihm daher vor, obgleich er ethnischer Ukrainer ist, an der Unterdrückung der ukrainischen Orthodoxie mitgewirkt zu haben.

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Diese Situation war seit Mitte der 1990er-Jahre einigermaßen stabil. Sie änderte sich aber mit dem Maidan, also den Protesten gegen Präsident Janukowitsch seit November 2013, und dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine. Die UOK-MP geriet unter immer größeren Rechtfertigungsdruck. Sie stand (und steht) in Gemeinschaft mit dem Moskauer Patriarchat; die allermeisten Ukrainer und auch viele Mitglieder der UOK-MP sahen aber in Russland den Aggressor. Während viele Vertreter der ROK die politische Option der russischen Regierung teilten, verblieben die offiziellen Äußerungen des Moskauer Patriarchen im Vagen. Er rief zu einem Ende des Blutvergießens auf und sagte, dass es keinen Bruderkrieg geben dürfe, vermied aber jede klare politische Festlegung. Die UOK-MP verhielt sich ebenfalls zurückhaltend; einerseits stimmte sie einer Erklärung über die territoriale Integrität der Ukraine zu (wonach also die Krim zur Ukraine gehört), andererseits klagte sie darüber, benachteiligt zu werden. Tatsächlich ist die Kirche in sich gespalten, und es finden sich unter ihren Vertretern und Mitgliedern alle denkbaren Positionen. Diese wenig klare Haltung führte dazu, dass sich zahlreiche Kirchengemeinden von der Kirchenleitung lossagten und sich zumeist der UOK-KP unterstellten. Diese Kirche vertrat – wie auch fast alle anderen Glaubensgemeinschaften im Lande – einen klaren proukrainischen Kurs.

Seitens der Regierung und des Parlaments hatte es immer wieder Versuche gegeben, auf die kirchliche Situation Einfluss auszuüben. Ein Gesetzesvorschlag, der eindeutig gegen die UOK-MP gerichtet war, wurde letztlich zurückgezogen. Das Parlament befasste sich mehrfach mit der Frage nach einer unabhängigen ukrainischen Kirche. Eine solche gibt es theoretisch bereits in Form der UOK-KP, doch mangelte es dieser an der gesamtkirchlichen Anerkennung. Sie erhofft man sich vom Patriarchen von Konstantinopel, dem Ehrenoberhaupt der Orthodoxie. Präsident Poroschenko besuchte Anfang April 2018 Patriarch Bartholomaios in Istanbul. Kurz darauf übersandte er ihm eine Bitte um eine autokephale, also selbstständige orthodoxe Kirche für die Ukraine; dieser Aufruf wurde auch von den Oberhäuptern der UOK-KP und der UAOK sowie von einer großen Parlamentsmehrheit unterstützt; es gibt auch einige Bischöfe der UOK-MP, die ihn unterschrieben haben. In der Ukraine entzündete sich eine öffentliche und immer noch anhaltende Debatte um die Frage nach der Autokephalie.

Das Problem hat mehrere Dimensionen. In politischer Hinsicht ist deutlich, dass Präsident Poroschenko sein angeschlagenes Image im Lande zu verbessern versucht. Die ungute Situation einer gewissen Abhängigkeit von Russland im kirchlichen Bereich wäre überwunden, wenn die Ukraine eine eigene, unabhängige orthodoxe Kirche hätte. Der Präsident würde als derjenige gelten, der diese Frage gelöst hat; von der schwierigen innenpolitischen Situation und den geringen Fortschritten auf dem Weg zu einer Wiedergewinnung der besetzten Gebiete wäre zunächst einmal abgelenkt. Im Hinblick auf die 2019 bevorstehende Präsidentschaftswahl würde er sich eine bessere Ausgangsposition verschaffen.

Vor einer schwierigen Situation steht der Patriarch von Konstantinopel. Trotz zahlreicher Spannungen und Meinungsunterschiede mit Moskau ist er nach wie vor in Kirchengemeinschaft mit der ROK. In der Orthodoxie gibt es kein anerkanntes Verfahren, wie eine Kirche die Autokephalie erlangen kann, also ob sie sie von ihrer „Mutterkirche“ oder vom Ökumenischen Patriarchat verliehen bekommt. Darüber hinaus herrscht zwischen den verschiedenen Kirchen in der Ukraine keine Einigkeit darüber, wer eigentlich die „Mutterkirche“ der ukrainischen Orthodoxie ist, Konstantinopel oder Moskau. Bemühungen der orthodoxen Kirchen, sich auf ein Verfahren zur Verleihung der Autokephalie zu verständigen, sind gescheitert. Sollte Konstantinopel einer Kirche in der Ukraine die Autokephalie gewähren – vermutlich wäre das die mit der UAOK vereinte UOK-KP –, würde das mit größter Wahrscheinlichkeit zum Schisma zwischen der ROK und dem Ökumenischen Patriarchat und damit zu einem Auseinanderbrechen der Orthodoxie führen; damit haben führende Vertreter der ROK bereits gedroht. Auch die kirchliche Situation in der Ukraine selbst würde nicht gelöst werden, da sich kaum alle Bischöfe und Gemeinden dieser neuen kirchlichen Struktur anschließen würden. Die Spaltung würde also nicht behoben werden, sondern vielmehr andauern. Damit wäre außerdem ein Präzedenzfall geschaffen, weil es erstmals zwei kanonische orthodoxe Kirchen auf einem Territorium gäbe. Es ist daher eher zu bezweifeln, dass sich der Patriarch von Konstantinopel zu einem solchen Schritt entschließen wird. In Kiew wird jedoch spekuliert, dass der entsprechende „Tomos“, der Bescheid des Ökumenischen Patriarchen, bereits ausgefertigt sei und bald unterschrieben und publiziert werde.

Die kirchliche Lage in der Ukraine wird zunächst also auch weiterhin durch Spaltung gekennzeichnet sein. Auf mittlere Sicht jedoch wird die ukrainische Orthodoxie sicher in einer Kirche vereinigt sein – zu viele Mitglieder und Amtsträger auch der UOK-MP wollen das, als dass Moskau eine Einigung auf Dauer verhindern könnte. Das wird massive Folgen für die Weltorthodoxie haben – die ROK wird dann vielleicht nicht mehr die größte orthodoxe Kirche sein, und sie wird sich nicht mehr ohne Weiteres auf die Kiewer Tradition berufen können. Doch werden die Probleme zwischen der Ukraine und Russland vor einem solchen Schritt behoben sein müssen – auch hier ist also die Lösung der kirchlichen Frage von der der politischen abhängig.

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