Ernährungssouveränität in Rumänien – Das Nyéléni Forum 2016

Ernährungssouveränität in Rumänien – Das Nyéléni Forum 2016

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Was ist Ernährungssouveränität?

Ende Oktober fand das zweite europäische Nyéléni Forum für Ernährungssouveränität in Cluj-Napoca in Rumänien statt. Die Ernährungssouveränitätsbewegung fordert die demokratische Kontrolle über das Nahrungsmittelsystem ein. „Food sovereignty is the right of peoples to healthy and culturally appropriate food produced through ecologically sound and sustainable methods, and their right to define their own food and agricultural systems.“[i] Die Bewegung kann als Gegenbewegung wie auch als Alternative zum herrschenden agrarindustriellen Landwirtschafts- und Ernährungssystem gesehen werden. Dieses beruht nicht nur auf monokultureller Anbauweise, dem großflächigen Einsatz von Pestiziden und Herbiziden und der Verwendung von genmanipuliertem Saatgut, sondern wird überdies von transnationalen Konzernen dominiert, die landwirtschaftliche Wertschöpfungsketten vom Boden über den Handel bis hin zur Weiteverarbeitung der Erzeugnisse kontrollieren.

Nyéléni Europe forum for food sovereignty

Nyéléni Europe Forum for Food Sovereignty 2016

Das Konzept der Ernährungssouveränität wurde 1996 am Welternährungsgipfel der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) von La Via Campesina, einer Organisation, die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, Landarbeiter_innen, Landlose, Fischer_innen und Indigene vertritt, vorgestellt. Es stellt die Menschen, die Art und Weise, wie produziert und konsumiert wird, in den Mittelpunkt und beleuchtet Machtverhältnisse, die die Bereiche Landwirtschaft und Ernährung bestimmen. Der Begriff ist in Abgrenzung zu dem Begriff der Ernährungssicherheit zu verstehen, der von der FAO oder auch der Welthandelsorganisation (WTO) verwendet wird und auf eine bloße Versorgung mit Lebensmittel im Sinne eines ausreichenden Nährwerts abzielt, ohne jedoch die Produktionsverhältnisse in den Blick zu nehmen.

Das Nyéléni-Forum in Cluj-Napoca

Nyéléni – benannt nach einer mythischen malischen Frau, die durch Landwirtschaft ihr Volk ernährte – ist ein Zusammenschluss von Bäuerinnen und Bauern, Landarbeiter_innen, Fischer_innen, Hirt_innen, Indigenen, Gewerkschafter_innen, Forscher_innen, Aktivist_innen, Verbraucher_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen. Diese Akteur_innen der Ernährungssouveränitätsbewegung trafen sich 2007 zum ersten globalen Forum in Mali sowie 2011 zum ersten europäischen Forum in Österreich. Fünf Jahre später, am zweiten europäischen Forum in Rumänien wurden entlang vier verschiedener Achsen – Modelle der Lebensmittelproduktion und Konsumverhalten, Lebensmittelverteilung, das Recht auf natürliche Ressourcen und Gemeingüter, Arbeitsbedingungen und Soziales im Lebensmittel- und Agrarsystem – Alternativen und Handlungsmöglichkeiten diskutiert. Stand das erste europäische Forum in Krems 2011 ganz im Zeichen der Problemidentifizierung, lag der diesjährige Fokus auf der Planung von Aktionen und Kampagnen. Delegationen aus 42 Ländern aus Europa und Zentralasien tauschten sich über fünf Tage hinweg in neun Sprachen über entstehende Projekte aus. Diese reichen beispielsweise von einem Mapping bereits existierender Ernährungssouveränitätsaktivitäten, um deren Sichtbarkeit zu erhöhen und bessere Vernetzung innerhalb der Bewegung zu gewährleisten über gemeinsame Pläne zu Boykottierung von Supermärkten bis hin zur verstärkten Koordinierung von Kampagnen gegen CETA und TTIP.

Ernährungssouveränität in Rumänien

Die Rolle von kleinstrukturierten landwirtschaftlichen Betrieben ist in den mittel-, süd- und osteuropäischen Mitgliedsländern der Europäischen Union (EU) besonders zentral. Rumänien verfügt über den höchsten Anteil von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in der Europäischen Union (EU).

Als post-sozialistisches Land zeichnet es sich durch eine duale Struktur in der Landwirtschaft aus. Großbetriebe von 50 Hektar aufwärts stehen kleinen Betrieben, die über ein paar Hektar verfügen, gegenüber.[ii] Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU und deren Auslegung durch den rumänischen Staat bestimmt die Situation der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern vor Ort maßgeblich. So erhalten Erzeuger_innen, die unter einen Hektar Land bearbeiten, keinerlei Unterstützung aus der GAP. Gleichzeitig profitieren die Großbetriebe enorm von der finanziellen Unterstützung aus der GAP. 2008 fielen beispielsweise 51% der Subventionen an nur 0,9% der Betriebe. Die Mehrheit kleinbäuerlicher Produzent_innen, immerhin 2,6 Millionen Betriebe, wird jedoch staatlich als solche nicht anerkannt und unterstützt.[iii]

Aufgrund der relativ niedrigen Landpreise sowie der Attraktivität der besonders fruchtbaren Schwarzerdeböden stellt die Kontrolle von Land durch in- und ausländische Investor_innen zunehmend ein Problemfeld dar. Die damit einhergehende Verdrängung von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Rumänien, auch als Land Grabbing bezeichnet, treibt die Konzentration von Land in den Händen weniger voran. Beispiele für Land Grabbing reichen von dem multinationalen Riesen Cargill (250 000 Hektar) hin bis zu österreichischen Inverstoren, dem Grafen Andreas von Bardeau (21 000 Hektar) oder der Holzindustrie Schweighofer (14 000 Hektar).[iv]

Kleinbauer aus Dejani, Rumänien

Kleinbauer aus Dejani, Rumänien

Ernährungssouveränität ist kein top-down Ansatz und geht von den jeweiligen lokalen Strukturen und Möglichkeiten aus, um Alternativen voranzutreiben. Formen von solidarischer Landwirtschaft wie der Community Supported Agriculture (CSA) werden auch in Rumänien immer beliebter. CSAs streben eine Neugestaltung der Beziehungen zwischen Produzent_innen und Konsument_innen an. Über sogenannte Ernteanteil finanzieren Konsument_innen die Produktion mit vor und beteiligen sich so am Risiko (bspw. eines Ernteausfalls), das üblicherweise alleinig bei den Kleinbäuerinnen und Kleinbauern liegt. Mittlerweile existieren 15 solcher Initiativen in West-, Zentral- und Südrumänien, die vor allem durch den Anstoß von Konsument_innen ins Leben gerufen wurden. Diese beteiligen sich neben der finanziellen Unterstützung auch an weiteren Planungstätigkeiten- und Organisationsprozessen der Betriebe.[v]

Rumänien als Austragungsort für das Forum war insofern strategisch wichtig, um die Bewegung in Osteuropa zu stärken und die Vernetzung innerhalb der Region wie auch mit Westeuropa zu intensivieren. Insgesamt kann das Forum daher als Meilenstein für die Unterstützung von kleinbäuerlichen Strukturen in Osteuropa bezeichnet werden.

[i] Declaration of Nyéléni (2007): Food Sovereignty and Trade,  https://viacampesina.org/en/index.php/main-issues-mainmenu-27/food-sovereignty-and-trade-mainmenu-38/262-declaration-of-nyi (letzter Aufruf: 7.11.2016)

[ii] Eurostat (2015): Agricultural census in Romania, http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Agricultural_census_in_Romania (letzter Aufruf: 5.11.2016)

[iii] Luca, Lucian (2009): Two extremes don’t make one right. Romania and the Reform of the Common Agricultural Policy of the EU. http://www.ecoruralis.ro/storage/files/Documente/crpe_policy_memo_4_en.pdf (letzter Aufruf: 6.11.2016)

[iv] Eco Ruralis (k.A.): Publications, http://www.ecoruralis.ro/web/en/Publications/ (letzter Aufruf: 7.11.2016)

[v] Briciu, Adrian (2016): Romania, In: European CSA Research Groupe (Hg.): Overview of Community Supported Agriculture in Europe, 82-84, http://groupedebruges.eu/sites/default/files/publications/downloads/overview-of-community-supported-agriculture-in-europe-final.pdf (letzter Aufruf: 7.11.2016)

 

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