Ende der Vorbildfunktion? Ergebnisse und Konsequenzen der Parlamentswahl in Polen
Polen hat gewählt und eindeutig entschieden. Das häufig als osteuropäisches Vorbild bezeichnete post-sozialistische Land hat durch die vergangene Parlamentswahl am 25. Oktober 2015 scheinbar seinen liberalen Kurs der letzten Jahre aufgegeben und einen Rechtsruck vollzogen. Doch wie sind der Wahlausgang und der weitere Weg Polens tatsächlich zu deuten? Innerhalb dieses Artikels sollen die wesentlichen Kontextbedingungen der Wahl, die parteipolitischen Debatten und Konflikte, die tieferliegenden Probleme sowie die Stimmung innerhalb der polnischen Bevölkerung prägnant dargestellt werden.
Die Wahlergebnisse im Überblick
Aus der Parlamentswahl ging die konservativ- nationalistische Partei PiS (Prawo i Sprawiedliwość – Recht und Gerechtigkeit) unter dem Populisten Jarosław Kaczynski als stärkste Kraft hervor. Sie erreichte 37,58 Prozent der Stimmen und konnte somit im Vergleich zu den letzten Wahlen im Oktober 2011 einen Stimmenzuwachs von beinahe 8 Prozentpunkten verzeichnen1. Die Partei verfügt nun mit 235 Sitzen über die absolute Mehrheit im Parlamentund bildete nach den Wahlen eine Alleinregierung unter der Ministerpräsidentin Beata Szydło, die häufig als Marionette des eigentlich tonangebenden Parteichefs Jarosław Kaczynski kritisiert wird. Die bisherige Regierungspartei PO (Platforma Obywatelska – Bürgerplattform) musste hingegen erhebliche Verluste hinnehmen. Die liberal- konservative Partei unter Ewa Kopacz, der Nachfolgerin des ehemaligen Parteichefs und jetzigen EU- Ratspräsidenten Donald Tusk, verlor insgesamt etwa 15 Prozentpunkte und konnte nur mehr 24,09 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen. Auch die PSL (Polskie Stronnictwo Ludowe – Polnische Bauernpartei), der bisherige Koalitionspartner der PO, hatte einen nicht unerheblichen Stimmenverlust zu verzeichnen und überschritt mit 5,13 Prozent nur knapp die 5- Prozent- Hürde. Außerdem traten zwei erst kürzlich neu gegründete Parteien erstmals zu den Wahlen im Oktober an. Sowohl die Protestbewegung Kukiz´15, als auch die liberale Partei „Die Moderne“ (Nowoczesna Ryszarda Petru) konnten auf Anhieb 8,81 bzw. 7,60 Prozent erzielen. Zudem erhält die deutsche Minderheit wie auch in den vergangenen Legislaturperioden einen Sitz im Sejm. Damit sind keine linken Parteien mehr im Parlament vertreten.
Ergebnisse der Parlamentswahl 2015:
Partei | Stimmenanteil in % | Sitze im Sejm |
PiS | 37,58 | 235 |
PO | 24,09 | 138 |
Kukiz´15 | 8,81 | 42 |
Nowoczesna Ryszarda Petru | 7,60 | 28 |
PSL | 5,13 | 16 |
Deutsche Minderheit | 0,18 | 1 |
Quelle: Eigene Grafik auf Grundlage von Markowski, Radosław: Die Parlamentswahlen 2015. In: Polen- Analysen, Nr. 171, November 2015
Die Wahlbeteiligung betrug etwa 51 Prozent2. Im Umkehrschluss bedeutet dieses Ergebnis, dass insgesamt lediglich knapp 19 Prozent aller Wahlberechtigten der PiS ihre Stimme gaben3. An dieser Stelle sei auf Dorothée de Nève verwiesen, die im Zusammenhang mit stetig sinkender Wahlbeteiligung auf die Gefahr der Entstehung künstlicher (Regierungs-) Mehrheiten sowie das generell demokratiegefährdende Potenzial mangelnder politischer Partizipation hinweist4.
Entwicklung der Wahlbeteiligung in Polen bei Parlamentswahlen:
Jahr | Wahlbeteiligung in % |
2015 | 50,92 |
2011 | 48,92 |
2007 | 53,82 |
2005 | 40,51 |
2001 | 46,18 |
1997 | 47,9 |
1993 | 52,13 |
1991 | 43,2 |
Quelle: Eigene Grafik auf Grundlage der Daten von European Election Database: Poland. Unter http://www.nsd.uib.no/european_election_database/country/poland/parliamentary_elections.html (Zugriff am 27.11.2015)
Das Verschwinden der politischen Linken
Nach der Wahl im Oktober zogen insgesamt sechs Parteien in den Sejm ein, wobei Parteien des linken politischen Spektrums nicht mehr im Parlament vertreten sind. Die SLD (Sojusz Lewicy Demokratycznej – Bund der Demokratischen Linken) trat dieses Mal als Zusammenschluss mehrerer linker Gruppierungen an, verfehlte aber- wenn auch nur sehr knapp- die für Wahlbündnisse geltende 8- Prozent- Hürde und damit den Einzug in den Sejm. Insgesamt lassen die Ergebnisse also nicht nur auf eine Wiederbelebung der Wählervolatilität sowie eine generelle Unzufriedenheit mit der bisherigen (Regierungs-) Politik schließen, sondern deuten zudem ein Verschwinden der Repräsentation der politischen Linken- zumindest in den kommenden vier Jahren- an. Es ist davon auszugehen, dass der Bedeutungsverlust und das Verschwinden von Parteien des linken Spektrums (in post- kommunistischen Staaten) in Zukunft wohl noch des Öfteren Mittelpunkt wissenschaftlicher Debatten und Forschungen sein werden.
Einmal mehr stellt sich daher die Frage, welche Faktoren zum Wahlsieg der PiS und den enormen Verlusten der bisherigen Regierungsparteien, die erstmals seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems 1989/ 90 zwei volle Amtszeiten an der Macht waren und eine durchaus erfolgreiche und konstruktive Regierungsarbeit leisteten, führte. Die Regierung unter Donald Tusk ab 2007 und insbesondere seine Wiederwahl im Jahr 2011 beendeten ein von Konflikten und instabilen Dynamiken geprägtes polnisches Parteiensystem und brachten nicht nur eine gewisse politische Stabilität, sondern vor allem einen pro- europäischen und pragmatischen Kurs mit sich, der von positiven wirtschaftlichen Entwicklungen begleitet wurde. Wie es scheint, war diese Stabilisierungsphase jedoch nur von zeitlich begrenzter Dauer.
Diskussion der Ursachen
Der Wahlsieg der PiS muss in einem umfassenderen Kontext betrachtet werden, da bereits im Vorfeld der Wahl mehrere Faktoren diesbezüglich unterstützend wirkten. So konnte der bis dato relativ unbekannte PiS- Kandidat Andrzej Duda die Präsidentschaftswahl im Mai 2015 überraschend für sich gewinnen und damit den bisherigen Amtsinhaber Bronisław Komorowski ablösen. Anzunehmen ist in diesem Zusammenhang, dass Präsident Duda aufgrund seiner Parteizugehörigkeit Vorhaben der neuen PiS- Regierung nicht im Wege stehen wird. Der Präsident wird in Polen direkt gewählt, was Duda nutze, um die Bevölkerung insbesondere durch weiteichende, teils utopische Versprechungen für sich gewinnen zu können. Hierbei kommt einmal mehr die Wechselstimmung der polnischen Bevölkerung deutlich zum Ausdruck.
Es lassen sich aber durchaus auch andere Ursachen für den enormen Wahlsieg der PiS identifizieren. Bedacht werden sollten zunächst die bereits seit längerer Zeit bestehenden parteiinternen Spannungen innerhalb der bisher regierenden Bürgerplattform. Diese internen Konflikte führten sukzessive zur Schwächung der Partei. Bereits im Jahr 2011 fand beispielsweise eine Abspaltung durch den ehemaligen PO- Abgeordneten Janusz Palikot statt. Dieser gründete die radikal- liberale Partei TR (Twój Ruch – Palikot Bewegung), mit der er bei der Parlamentswahl im Oktober 2011 antrat und auf Anhieb 10,02 Prozent der Stimmen erzielte5. Zwar ist die Partei inzwischen wieder in der politischen Versenkung verschwunden, dennoch sprechen diese Dynamiken für sich. Zudem wurde die Amtszeit der PO- PSL- Regierung von einer Abhöraffäre überschattet, was vor allem eine Glaubwürdigkeitskrise der PO auslöste6. Somit kann zumindest teilweise das Paradoxon erklärt werden, weshalb die bisherige Regierung trotz vorbildlicher Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklungen zuletzt gnadenlose Wahlverluste erlitt. Bereits etliche Umfragen im Vorfeld der Parlamentswahl, die vom öffentlichen Meinungsforschungsinstitut Cbos in regelmäßigen Abständen erhoben werden, deuteten die Unzufriedenheit innerhalb der Bevölkerung mit der Regierungs- und Parlamentstätigkeit sowie mit zentralen politischen Akteuren und Institutionen, deutlich an7.
In diesem Zusammenhang muss außerdem der gut organisierte Wahlkampf der PiS erwähnt werden, der vor allem weitreichende Veränderungen versprach, nach denen sich die Polen bereits seit langem sehnen. Die Partei dominierte den Wahlkampf und ging auch auf soziale Themen ein, wodurch sie breite Bevölkerungsschichten für sich gewinnen konnte. Dagegen war der Wahlkampf der bisherigen Regierungsparteien- und insbesondere der PO- nach Meinung vieler Kommentatoren eher schwach und ließ sowohl die Stimmung, als auch die Bedürfnisse der Bevölkerung außer Acht8. Die Bürgerplattform konnte kaum Themen setzen und versäumte es, breite Wählerschichten anzusprechen. Berücksichtigt werden sollte dabei auch der relativ unklare Kurs der Partei im Hinblick auf die Flüchtlingsthematik, die im Wahlkampf eine nicht unerhebliche Rolle spielte. Von der PiS wurde dieses Thema hingegen erfolgreich aufgegriffen und instrumentalisiert. Die Friedrich- Ebert- Stiftung schlussfolgert im Hinblick auf die Positionierungen der Parteien im Vorfeld der Wahl, dass kaum Sachthemen behandelt wurden und der Wahlkampf emotional überladen war. So spielten zum großen Teil auch Diffamierungen zwischen politischen Akteuren und Parteien eine Rolle9.
Ungewisse Zukunftsaussichten
Im Zuge dieses kurzen Überblicks dürfte der klare und zu erwartende Ausgang der Parlamentswahl in Polen deutlich geworden sein. Die Hoffnung auf eine Fortführung der politischen Stabilität, die insbesondere durch die PO- PSL- Regierung ab 2007 eingeleitet wurde, ist brüchig geworden. Allerdings hat die Bürgerplattform die Möglichkeit, in den kommenden vier Jahren als starke Oppositionspartei aufzutreten. Dafür müsste die Partei jedoch zunächst internes Konfliktmanagement betreiben. Über den weiteren Verlauf der Innen- und Außenpolitik Polens unter der neuen PiS- Regierung kann derzeit nur spekuliert werden. Bereits jetzt berichtet aber etwa die Süddeutsche Zeitung, dass die Regierung dem Parlament die Kontrolle über die Geheimdienste entziehe und das Verfassungsgericht systematisch einschränke10. Auch Der Standard kritisiert die neue polnische Regierung, da diese das Mediensystem radikal umbaue und damit die Pressefreiheit angreife11. Zu befürchten ist außerdem ein Ende des europafreundlichen Kurses.
Ob die neue Regierung ihre umfassenden Wahlversprechen halten kann, oder gerade an diesen scheitern wird, wie dies bereits während ihrer kurzlebigen Legislaturperiode von 2005 bis 2007 der Fall war, bleibt abzuwarten. Bereits jetzt ist aber eine ideologische Verengung des polnischen Parlaments aufgrund der fehlenden Repräsentation des linken politischen Spektrums sowie eine damit einhergehende geringe parteipolitische Vielfalt auszumachen.
1 Vgl. European Election Database: Poland. Unter: http://www.nsd.uib.no/european_election_database/country/poland/parliamentary_elections.html (Zugriff am 26.11.2015)
2 Vgl. Polnisches Institut Wien: Ergebnisse der Parlamentswahlen in Polen. Unter: http://www.polnisches-institut.at/3,1,132,de (Zugriff am 26.11.2015)
3 Vgl. Markowski, Radosław: Die Parlamentswahlen 2015. In: Polen- Analysen, Nr. 171, November 2015
4 Vgl. Nève, Dorothée de: NichtwählerInnen- eine Gefahr für die Demokratie? Opladen: Budrich, 2009
5 Siehe European Election Database: Dataset Poland. Parliamentary Election 2011. Unter: NSD – European Election Database, Polen 2011 (Zugriff am 27.11.2015)
6 Vgl. Flis, Jarosław: PIS nach dem Sieg bei den Präsidentenwahlen. In: Polen Analysen, Nr. 165, Juni 2015
7 Siehe Szlendak, Tomasz: Die jungen Polen und die Politik. In: Polen- Analysen, Nr. 166, Juli 2015
8 Siehe Markowski, Radosław: Die Parlamentswahlen 2015. In: Polen- Analysen, Nr. 171, November 2015
9 Vgl. Andrychowicz- Skrzeba, Johanna/ Sendhardt, Bastian: Vor den Parlamentswahlen 2015. Polen stellt sich neu auf. Berlin: Friedrich- Ebert- Stiftung, Oktober 2015
10 Vgl. Hassel, Florian: Jarosław Kaczyński- der Alleinherrscher. Unter: http://www.sueddeutsche.de/politik/polen-der-alleinherrscher-1.2751865 (Zugriff am 26.11.2015)
11 Vgl. Lesser, Gabriele: Polen- Angriff auf die Pressefreiheit. Unter: http://derstandard.at/2000026127498/Polen-Angriff-auf-die-Pressefreiheit (Zugriff am 26.11.2015)
Quellen:
Andrychowicz- Skrzeba, Johanna/ Sendhardt, Bastian: Vor den Parlamentswahlen 2015. Polen stellt sich neu auf. Berlin: Friedrich- Ebert- Stiftung, Oktober 2015.
European Election Database: Poland. Unter http://www.nsd.uib.no/european_election_database/country/poland/parliamentary_elections.html (Zugriff am 27.11.2015).
Flis, Jarosław: PIS nach dem Sieg bei den Präsidentenwahlen. In: Polen Analysen, Nr. 165, Juni 2015.
Hassel, Florian: Jarosław Kaczyński- der Alleinherrscher. Unter: http://www.sueddeutsche.de/politik/polen-der-alleinherrscher-1.2751865 (Zugriff am 26.11.2015).
Lesser, Gabriele: Polen- Angriff auf die Pressefreiheit. Unter: http://derstandard.at/2000026127498/Polen-Angriff-auf-die-Pressefreiheit (Zugriff am 26.11.2015).
Markowski, Radosław: Die Parlamentswahlen 2015. In: Polen- Analysen, Nr. 171, November 2015.
Nève, Dorothée de: NichtwählerInnen- eine Gefahr für die Demokratie? Opladen: Budrich, 2009.
Polnisches Institut Wien: Ergebnisse der Parlamentswahlen in Polen. Unter: http://www.polnisches-institut.at/3,1,132,de (Zugriff am 26.11.2015).
Schmitz, Christian: Länderbericht. Machtwechsel in Polen. Auslandsbüro Polen: Konrad- Adenauer- Stiftung e.V., Oktober 2015.
Szlendak, Tomasz: Die jungen Polen und die Politik. In: Polen- Analysen, Nr. 166, Juli 2015.