Gefährliche Polarisierung: wie in Polen die Präsidentschaftswahlen die Demokratie beschädigt haben

Gefährliche Polarisierung: wie in Polen die Präsidentschaftswahlen die Demokratie beschädigt haben

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Der Präsident ist in seinen Rechten im semi-präsidentiellen System Polens beschränkt. Allerdings ist das Amt für die regierende PiS-Partei von erheblichem Wert. Die Macht einer Regierung wird beeinträchtigt, wenn der Präsident einem anderen politischen Lager angehört. Diese Gewaltenteilung ist für die Demokratie ein Gewinn. Allerdings steht sie den Versuchen einer autoritären Verfestigung der Macht entgegen. Der amtierende Präsident Duda hatte zwar anfangs einige Male versucht, sich als unabhängig von der Regierung darzustellen, etwa durch sein Zögern, die Reform des Rechtssystems im Interesse der Regierungsmehrheit sofort zu unterschreiben, aber in den letzten Jahren wird er seinem Spitznamen (Kugelschreiber) durchgängig gerecht: alles, was im Parlament mit der Mehrheit der Regierungspartei PiS beschlossen wurde, wurde letztendlich von ihm unterstützt.

Als die erste Runde der Wahlen für den 10. Mai angesetzt wurde, als das Land noch fest im Griff der Corona-Pandemie war, schien ein Wahlerfolg des Amtsinhabers nicht gefährdet zu sein. Wie in vielen Ländern auch wirkte die erfolgreiche staatliche Bekämpfung der Pandemie zugunsten der Regierungspartei. Die Umfragen versprachen einen Erfolg in der ersten Runde (es wurde erwartet, dass mehr als die Hälfte der Wahlteilnehmenden für Duda stimmen wollten). Doch dann wurde die Wahl wegen des anhaltenden öffentlichen Protests gegen Wahlen unter Pandemiebeschränkungen auf Ende Juni/ Mitte Juli verschoben. Und die größte Oppositionspartei wechselte ihre bis dato wenig erfolgreiche Kandidatin gegen den beliebten Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski aus. In der ersten Runde siegte zwar der Amtsinhaber eindeutig mit 42 % der Stimmen vor dem Herausforderer, der auf knapp 30 % kam, aber allein das Stattfinden der zweiten Runde war ein großer Sieg.

Schon dieser erste Wahlgang war durch eine deutliche Polarisierung gekennzeichnet, zu der der Amtsinhaber beigetragen hatte, indem er gegen die Gleichstellung von LGBT-Paaren mit heterosexuellen Familien hetzte und die immer noch unterschwellig vorhandene Furcht vor Deutschland mobilisierte. Darüber hinaus bemühte sich der US-amerikanische Präsident Trump um Unterstützung Dudas und empfing ihn während der Wahlkampagne im Weißen Haus. Aber nachdem mit dem nötigen zweiten Wahlgang in der Präsidentschaftswahl nun der Albtraum von PiS wahrgeworden ist, dass nicht nur in der zweiten Parlamentskammer, im Senat, eine eigene Mehrheit verlorengegangen ist, sondern auch ein Präsident mit einer anderen politischen Orientierung drohte, verschärfte die Regierungspartei und ihr Kandidat die Stimmung weiter. Der informierte Beobachter der polnischen Politik, Timothy Garton Ash, verwies in einem Beitrag im „The Guardian“ darauf, dass die Regierungspartei ihren Einfluss auf die staatlichen Medien nutzt, um ihren Kandidaten zu unterstützen und dabei mit allen möglichen Falschaussagen arbeitet. So wird ihm vorgeworfen, er würde eine Wiedergutmachung jüdischer Vermögensverluste im Zweiten Weltkrieg anzustreben und er verfolge keine polnischen Interessen, sondern sei der „deutsche Kandidat“. Schon in der ersten Runde des Präsidentschaftswahlkampfes, zwischen dem 3. und 16. Juni, seien, laut einem polnischen analytischen Service, 97 % der Nachrichten im polnischen staatlichen Fernsehen TVP zum Amtsinhaber Duda positiv gewesen, dagegen 87 % zu seinem Herausforderer Trzaskowski negativ[1]. Diese Herangehensweise verlange dringend nach der Wiederherstellung des Medienpluralismus, meinte der britische Autor, um ein weiteres Abgleiten Polens auf dem Weg des autoritären Populismus zu verhindern.

Auch das polnische online-Medium „The Warsaw Voice“ hatte kürzlich Bedenkliches zu berichten[2]: Die staatliche Post hat in den letzten Tagen allen ihren Kunden eine Werbebotschaft ausgehändigt, in der einseitig zugunsten des polnischen Amtsinhabers und zu Lasten des Herausforderers argumentiert worden wäre. Diese Art, alle staatlichen Mittel für den Wahlkampf der regierenden Partei zu nutzen, kennen wir ansonsten eher aus Ländern Osteuropas, in denen eindeutig autoritäre Verhältnisse existieren. Etwa aus Russland, aber auch aus Weißrussland und selbst in der Ukraine gibt es diese Tradition. Dort wird eine solche unzulässige Beeinflussung der Wahlergebnisse durch die Regierenden als Nutzung „administrativer Ressourcen“ bezeichnet. Das ist ein grober Verstoß gegen die Regeln demokratischer Fairness. Polen hingegen ist ein Mitgliedsland der EU und hat sich damit selbst demokratischen Werten verpflichtet.

Die Wahlbeteiligung in der zweiten Runde betrug 68 %. Für Wahlen in Polen ist das sehr viel. Obwohl der Ausgang der Präsidentenwahl am Kräfteverhältnis im Sejm und an der Zusammensetzung der Regierung nichts ändern wird, zeugt die hohe Wahlbeteiligung von dem verbreiteten Gefühl im Land, hier würde über die Richtung der Politik entschieden. Die Wahl ist nun sehr knapp ausgegangen. Insofern ist eher ein Gleichstand der Stärke von zwei politischen Lagern, von zwei unterschiedlichen politischen Schwerpunktsetzungen bestätigt worden: eine Hälfte Polens steht nach wie vor hinter der konservativen Politik von PiS und ihres Präsidenten, sie will wohl v.a. die Sozialpolitik ihrer aktuellen Regierung verteidigen. Außerdem ist in dieser Wählergruppe eine gewisse Skepsis gegenüber dem liberalen Europa verbreitet. Es ist die Sorge, dass nach den Belastungen der 1990er Jahre sie sich erneut auf eine radikale Veränderung der Lebensumstände einstellen muss. Die andere Hälfte der Bevölkerung ist hingegen gerade offen für eine solche Dynamik. Sie hat allerdings auch bessere Voraussetzungen dafür: Es handelt sich bei ihr um die bessergestellten Bewohner der Großstädte und um Menschen in den Westgebieten, die sich sowieso stärker auf den Austausch mit dem Westen Europas orientieren.

Allerdings, der scharfe Wahlkampf von beiden Seiten hat bereits einen Schaden für die polnische Demokratie angerichtet: der von Präsident Duda und der ihn unterstützenden Regierungspartei PiS geführte Wahlkampf hat die Polarisierung in der polnischen Bevölkerung zwischen denen, die traditionellen Werten verpflichtet sind und mehrheitlich auf dem Land, in kleinen Städten und im Osten und Südosten des Landes leben und denen, die sich liberalen Werten verpflichtet fühlen und in den Großstädten sowie im Westen des Landes leben, weiter vertieft. Insofern wird es in den nächsten Jahren im Interesse der Demokratie darauf ankommen, das Land wieder stärker politisch zusammenzuführen. Duda hat das in seiner Rede nach der Wahl bereits als notwendig anerkannt. Auf der anderen Seite muss das liberale, dem Westen zugewandte Polen lernen, dass es auch die Sorgen und berechtigten Interessen der anderen Hälfte der Gesellschaft berücksichtigen muss. Dafür würde es dann auch nötig sein, dass die von den sozialdemokratischen und liberalen Regierungen der vergangenen Jahrzehnte vernachlässigten sozialstaatlichen Aufgaben, die von der PiS in ihrer Regierungszeit seit 2015 aufgegriffen worden sind, wieder stärker in den Fokus der eigenen Politik zu rücken.   


[1] Siehe den Beitrag „ For a bitter taste of Polish populism, just watch the evening news” von Garton Ash im “Guardian” vom 25. Juni 2020 (Garton Ash zitiert hier folgenden Bericht: https://www.press.pl/tresc/62151,_wiadomosci_-tvp-o-rafale-trzaskowskim-tylko-negatywnie ).

[2] Siehe den Bericht von „The Warsaw Voice“ vom 9. Juli 2020 (https://www.warsawvoice.pl/WVpage/pages/articlePrint.php/48703/news )


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