In der Sprache abrüsten!

In der Sprache abrüsten!

Print Friendly, PDF & Email

Der Krieg in der Ukraine hat auch die öffentliche Debatte vergiftet. Russland wird nicht nur als Aggressorstaat kritisiert, sondern es werden immer neue Gründe gesucht, warum wir uns für lange Zeit, vielleicht für immer, von einem normalen Austausch mit der russischen Gesellschaft verabschieden sollten. Die stärkste polemische Waffe ist dabei der Faschismusvorwurf. Robert Misik etwa schrieb in „Social Europe“, dass der Westen die faschistische Ideologie übersehen hätte, von der die russische Führung sich durch eine Art Selbstradikalisierung leiten ließe.[i] Der Dichter Durs Grünbein hatte vor einiger Zeit bereits vorgelegt und von „Russofaschismus“ geschrieben[ii]. Und jetzt hat die stellvertretene Fraktionsvorsitzende der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus dem Ganzen die Krone aufgesetzt, indem sie forderte, das sowjetische Ehrenmal im Tiergarten zu schleifen. Die heutigen „Faschisten“ können damals gar nicht die Sieger über den deutschen Faschismus gewesen sein, eine solche These liegt wohl der Initiative zu Grunde. Dass Russland im selben Geist in der Ukraine überall Faschisten sieht, sollte unsere Rhetorik wohl nicht bestimmen.  

Deeskalation als friedensstiftende Strategie

Ich hatte vor einigen Tagen eine Veranstaltung mit dem Herforder Pfarrer Berthold Keunecke[iii], der uns Zuhörern deutlich machte, Frieden müsse in uns selbst beginnen. Frieden hätte auch Wurzeln in unserer Rede, in unserem Denken. Wir müssten uns in unserem Reden immer um Deeskalation bemühen, um geistige Abrüstung. Er gründete seine Rede auf Einsichten aus der Friedensforschung: Jeder Konflikt erreiche irgendwann eine Stufe, auf der das Gegenüber zu einem unversöhnlichen Feind wird. Die ganze Welt erscheine auf dieser Eskalationsstufe nur noch bipolar: es entstehen unversöhnliche Pole, „Sie und Wir“; man selbst sieht sich als das absolut Gute und das Gegenüber als das absolut Böse. Unser Horizont verengt sich. Von hier aus gibt es scheinbar nur noch den einen Ausweg: Das Böse muss vernichtet werden! Das Gute muss siegen!

Wenn der ukrainische Präsident die russische Kriegführung und deren Ergebnisse in Butscha als das „absolut Böse“ bezeichnet, so ist das der Kriegslogik geschuldet, die auf Zerstörung baut, die Vernichtung des Gegenübers als einzig möglichen Weg sieht. Um die ukrainische Polemik geht es mir aber nicht.

Wir hingegen, in den Ländern des westlichen Europas, sind nicht im Krieg mit Russland. Wir sollten uns auch nicht polemisch in einen solchen hineinphantasieren. In unseren Medien mehren sich die Stimmen, die das nicht ausschließen wollen. Der Journalist und Präsident des PEN-Zentrums Deutschland Deniz Yücel forderte Ende März mehr Waffen für den „heldenhaften Kampf der Ukrainer“. Die Schriftstellerin Antje Rávic Strubel forderte schon Mitte März, Deutschland solle ganz schnell aussteigen aus dem Import von russischer Kohle, Gas und Öl, um nicht weiter den russischen Krieg zu finanzieren. Und der Kolumnist Sascha Lobo wollte die ganze russische Bevölkerung haftbar machen für den Krieg, weil sich jene nicht von Putin befreit hätten.[iv] 

„Der Westen“ und seine geistige Welt

Die Politik hat ja ihre Entscheidung bereits getroffen. Das Embargo gegen Russland hat eine in diesem Ausmaß noch nicht dagewesene Dimension. Der CDU-Vorsitzende Merz hatte den Ausschluss der russischen Banken aus dem internationalen Bankenaustausch Swift als „die nukleare Option“ bezeichnet und damit als eine hohe Stufe der Eskalation gekennzeichnet. Die USA, Großbritannien und andere Mitgliedsstaaten der NATO lieferten seit dem 24. Februar Waffen an die Ukraine im Umfang von mehreren Milliarden Euro. Die USA setzt dabei ein von Präsident Trump 2019 begonnenes Programm von Waffenlieferungen und Ausbildung der ukrainischen Streitkräfte fort. Doch auch um diese Seite der materiellen Einbindung von NATO-Staaten geht es mir hier nicht. Ich bin besorgt über die charakteristische „Begleitmusik“ in der Öffentlichkeit unserer Staaten.

In Deutschland wurde in den letzten Tagen versucht, einen möglichst hohen Druck auf den Bundeskanzler auszuüben, um ihn zur Genehmigung der Lieferung „schwerer Waffen“ an die Ukraine zu bringen. Eine Reihe von Journalisten aus den seriösen Zeitungen kritisierten die Zögerlichkeit des Kanzlers. Auch nachdem die deutsche Regierung eine Lieferung von Waffen angekündigt hatte, die über das bisherige Maß der militärischen Unterstützung der ukrainischen Armee hinausgehen[v], forderten auf Seiten der Regierungskoalition besonders die Abgeordneten Strack-Zimmermann (FDP), Hofreiter (Grüne) vom Bundeskanzler schnellere Entscheidungen über mehr schweres Gerät.

In den Medien sind auch zunehmend Stimmen zu hören, die eine anhaltende und umfassende Isolierung Russlands durch den Westen fordern. Neben Russland wird auch China zum Gegenstand der Suche nach Feinden und dem Bösen, das dem guten Westen frontal gegenübersteht. Der Kalte Krieg, so der Historiker Kotkin kürzlich in einem Interview mit dem Standard, sei in Wirklichkeit nie zu Ende gegangen. Russland und China hätten ihn auch nach 1989 fortgeführt[vi].

Dieser eindeutige Pol des Bösen funktioniert nur in der geistigen Welt, die ich hier zu beschreiben versuche, wenn es auch einen ebenso eindeutigen Pol des Guten gibt: Das sind wir, das ist der „Westen und seine Werte“. Es wird hierbei eine Bewegung des Fortschritts imaginiert, die vom Westen ausgehe und sich schrittweise über die ganze Welt ausbreite. Sie könne erst zu Ende sein, wenn alle Länder, die ganze Menschheit diese Werte teilen. Das kann offenbar nur dadurch erreicht werden, dass die Machtstrukturen, die dem entgegenstehen, zu Boden gebracht werden. Man muss bedenken, dass es sich bei dieser Aufgabe um keine Kleinigkeit handelt. Immerhin stehen dem Westen schon mit China und Indien über ein Drittel der Menschheit gegenüber. Und die Bevölkerungen Lateinamerikas und Asiens müssen ja auch mehrheitlich zu den „unsicheren Kantonisten“ gerechnet werden.

Konfrontation abbauen, Kooperation ermöglichen

Ich plädiere mit diesem Text dafür, sich der Gefährlichkeit solcher westlichen Hybris bewusst zu werden, bevor der Schaden in unseren Köpfen noch größer wird und vielleicht nicht mehr zu reparieren ist. Rüsten wir unsere Polemik ab. Vermeiden wir eine Verwandlung aller von uns nicht verstandener gesellschaftlicher Phänomene in Feindbilder. Suche wir stattdessen nach Wegen, die dringenden Aufgaben einer Klimawende und des Ausstiegs aus der verschwenderischen kapitalistischen Konsumgesellschaft zu bewältigen. Das geht nur, wenn wir nach produktiven Kooperationen mit der anderen Welt außerhalb „des Westens“ suchen. Natürlich sollten wir dabei unsere Werte nicht aufgeben. Ich bin überzeugt vom Wert der Demokratie, der Bürgerrechte, der gleichen Lebenschancen aller Menschen. Aber bevor wir uns bemühen, diese Werte anderen Kulturen schmackhaft zu machen, wäre es vernünftig, sie zuerst bei uns selbst konsequent durchzusetzen. Sonst gerät unser Appell leicht zur Bigotterie. Es gilt, Armut und Ungleichheit in der Europäischen Union abzubauen, Gefährdungen der Demokratie in unserer Heimat zuerst zu bekämpfen, sich auf die lebensnotwendige Aufgabe des Umbaus unserer Wirtschafts- und Lebensweise zu konzentrieren.


[i] Er schreibt: „So it overlooked how the Russian leadership was developing a fascist ideology in a process of self-radicalisation.” Siehe Robert Misik: A new era of containment? In: https://socialeurope.eu/a-new-era-of-containment 18.4.2022

[ii] Durs Grünbein in „SZ“ (vom 2./3.4.22, S. 17): „Der Russofaschismus hat sein böses Haupt erhoben. Putin ist in die Rolle Hitlers geschlüpft.“

[iii] Berthold Keunecke ist Friedensbeauftragter des Evangelischen Kirchenkreises Herford und Pfarrer der Evangelischen Emaus-Gemeinde.

[iv] Diese Zitate verdanke ich einem Kommentar von Christian Baron in der Süddeutschen Zeitung vom 14./15. April 2022.

[v] Es wird von Mörsern mit einem Kaliber von 120 Millimetern, Maschinenkanonen, Radarsystemen zur Bodenüberwachung und zur Ortung feindlicher Stellungen sowie elektronische Störsysteme gesprochen. (Siehe den Bericht in der Süddeutschen Zeitung vom 20.4.2022, S. 1).

[vi] Vgl. das Interview: Historiker Kotkin: “Der Kalte Krieg hat nie aufgehört”, in „Der Standard online“ 20.4.2022.

Share with: