Geopolitische Umwälzungen, die Zukunft der Ukraine und Aussichten für europäische Unternehmen

Geopolitische Umwälzungen, die Zukunft der Ukraine und Aussichten für europäische Unternehmen

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Mit der Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine im Juni 2024 war auch ein klares Signal an europäische Unternehmen verbunden. Tatsächlich wurden Hoffnungen auf eine pro-europäische und demokratische Ukraine geweckt, die durch einen funktionierenden Rechtsstaat ein Höchstmaß an Sicherheit für europäische Unternehmen garantiert und deren Wirtschaft dank des Zustroms externer Mittel und ausländischer Direktinvestitionen boomt. Doch Unternehmen benötigen auch Sicherheit und Stabilität. Als immer klarer wurde, dass diese Bedingungen kaum durch einen militärischen Sieg der Ukraine über Russland eintreten würden, zeichnete sich aus der Perspektive mancher ein anderer vermeintlicher Silberstreif am Horizont ab. So äußerten nicht wenige hinter vorgehaltener Hand die Hoffnung, dass in der Folge eines Wahlsiegs Donald Trumps, Frieden in der Ukraine – und „Business as Usual“ mit Russland – eintreten würden.

Die Welt im geopolitischen Umbruch

Doch nach nur wenigen Wochen Amtszeit Trumps sind erst einmal die geopolitischen Risiken für europäische Unternehmen signifikant gestiegen. Bislang rüttelte vor allem Russland an den Grundfesten der gegenwärtigen Weltordnung. Das regionale Ziel Moskaus setzt auf Wiederherstellung der Hegemonie im postsowjetischen Raum. Damit ist gleichzeitig die globale Ambition verbunden, die Vorherrschaft des Westens zu brechen. Nun rüttelt auch Donald Trump an den Grundfesten der Weltordnung. Die Strategie dahinter ist jedoch nicht offen sichtbar, denn die USA senden gleichzeitig auch Signale, auch weiterhin keine multipolare Weltordnung zulassen zu wollen. Zu erwarten ist, dass sich die geopolitische Kampfzone der USA deutlich stärker Richtung China verlagern wird. Möglicherweise versucht Donald Trump nun in einem größeren geopolitischen Plan Russland gegen China ins eigene Boot zu holen.

Wie weit Trump nach einem strategischen Plan arbeitet, ist jedoch unklar. Seine Vorliebe für Deals und die Vereinfachung geopolitischer Fragen macht strategische Fehltritte nicht unwahrscheinlich. Seine früheren Deals, wie der zwischen den USA und Afghanistan, deuten darauf hin, dass er zu oberflächlichen Abmachungen neigt, bei denen er kaum Rücksicht auf die Folgen nimmt. Trump hat sich verpflichtet, den Krieg zu beenden, und sieht dies möglicherweise als sein vorrangiges Ziel an. Die Tatsache, dass er den Interessen der USA und dem Dialog mit Russland Vorrang vor den umfassenderen Interessen der NATO und Europas einräumt, lässt jedenfalls einen Zeitenwechsel für Europa und die Ukraine erwarten.

Aussichten auf einen Ukraine-Deal

Doch zunächst stellt sich die Frage nach Wahrscheinlichkeit und Inhalt eines möglichen Ukraine-Deals, denn der Weg zu einer Einigung ist noch völlig unklar. Gerade auch der jüngste Eklat im Weißen Haus wirft in dieser Hinsicht mehr Fragen als Antworten auf. Nach drei Jahren massiven Abnützungskriegs, sinkender Unterstützungsbereitschaft in westlichen Gesellschaften und fehlenden militärischen Perspektiven der Ukraine, scheint die Zeit allerdings in gewisser Hinsicht reif zu sein für Verhandlungen. Mobilisierungsprobleme, die Zerstörung der Infrastruktur, Schwierigkeiten bei der Deckung des Energiebedarfs, Abwanderung und Arbeitskräftemangel belasten die Widerstandsfähigkeit der Ukraine zudem schwer. Die Ukraine hält weiterhin russisches Territorium besetzt und widersetzt sich effektiv den russischen Vorstößen, doch wird Kyiv wahrscheinlich zu Verhandlungen gezwungen werden. Es überrascht daher wenig, dass Zelensky wiederholt seine Verhandlungsbereitschaft bekundet hat.

Russland hat die Initiative in der Ostukraine und wird wohl kaum eine ausländische Militärpräsenz akzeptieren. Putin wird sich nach den Gesprächen mit Trump in seiner Überzeugung bestätigt fühlen, dass er den „kollektiven Westen“ (so die russische Terminologie) spalten und schwächen kann. Moskau ist damit in einer strategisch anderen Position als unmittelbar vor dem Ukrainekrieg, als Moskau am 17. Dezember 2021 zwei Vertragsentwürfe vorlegte, um die Fortsetzung der Nato-Erweiterung nach Osten, die Stationierung weiterer Truppen an den Grenzen Russland und die Stationierung weitreichender Raketen in europäischen Staaten zu stoppen. Nach bilateralen Diskussionen mit den USA in Genf und multilateralen Gesprächen im Nato-Russland-Rat und in der OSZE hatte der Westen die russischen Forderungen im Jänner 2022 in einem Akt der kollektiven Stärke entschieden zurückgewiesen. (Richter 2022) Inwieweit nun durch die gewonnene Stärke von Moskau zukünftig eine unmittelbare militärische Bedrohung für Mittelosteuropa ausgehen wird, bleibt dennoch fraglich. Die rote Linie, die militärische Aktionen impliziert, ist traditionell der postsowjetische Raum, während das restliche Europa strategischer Interessenraum ist, in dem der Einfluss auf hybride Weise ausgedehnt wird. Offen bleibt jedoch, was das alles für das Baltikum bedeutet.

Zurück zur Ukraine. Wahlen könnten hier eine Vorbedingung für eine Einigung sein, da Putin Zelensky immer wieder als illegitimen Präsidenten bezeichnet hat. Wahlen eröffnen nicht zuletzt die Möglichkeit, die Ukraine in dieser schwierigen Phase politisch zu destabilisieren. Doch was bedeutet dies nun für die Zukunft des Landes und für europäische Unternehmen in der Ukraine?

Das unwahrscheinlichste Szenario: Stabiler Frieden in einer pro-europäischen Ukraine

Ein stabiler Frieden würde ein vollständiges und dauerhaftes Ende der Feindseligkeiten bedeuten. Dieses Szenario wäre verbunden mit einem Abkommen, das zwar die russischen Annexionen zementiert, aber die maximale Einbindung der Ukraine in die Strukturen der EU ermöglicht, wodurch Transformation zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit katalysiert wird.

Um langfristige Stabilität zu gewährleisten, wären umfangreiche multilaterale Sicherheitsverpflichtungen europäischer Staaten gegenüber der Ukraine erforderlich. Für Unternehmen wäre dies das günstigste Szenario, da es mit hohen Investitionsmöglichkeiten bei niedrigen politischen Risiken verbunden wäre.

Ein weiterhin nicht unwahrscheinliches Szenario: Langer Krieg

Das Szenario eines langen Krieges bleibt eine realistische Möglichkeit. Ohne klare Garantien europäischer Staaten und durch den Rückzug der USA als Unterstützer wird die Ukraine weiterhin von wiederkehrenden militärischen Eskalationswellen und hybrider Kriegsführung existentiell bedroht sein. Dem Szenario vorausgesetzt ist allerdings, dass es überhaupt gelingt, unter den geänderten geopolitischen Rahmenbedingungen die Widerstandsfähigkeit aufrecht zu halten. Für die wenigsten europäischen Unternehmen ist dies ein Umfeld für Investitionen. Das anhaltende Kriegsrecht, die Wehrpflicht, die Aussetzung von Wahlen könnten ein Umfeld schaffen, in dem Korruption gedeiht, insbesondere wenn ein Ende der Feindseligkeiten mit Russland in weiter Ferne liegt. Arbeitskräftemangel, logistische Schwierigkeiten, die Zerstörung der Infrastruktur und die weiterhin drohende Machtübernahme pro-russischer Kräfte bieten keinen Nährboden für europäische Investitionen.

Ein sehr hohes Risiko: Ukraine unter russischer Hegemonie

Moskau ist heute den proklamierten Kriegszielen näher als je zuvor. Nach diesen müsste die Ukraine die Oblaste Cherson, Donezk, Luhansk, Saporischschja, und die Krim an die Russische Föderation abtreten, und auf Dauer von einem NATO-Beitritt absehen. Das dritte Ziel der „Entnazifizierung der Ukraine“ würde mit aller Wahrscheinlichkeit die Errichtung einer pro-russischen Regierung bedeuten. Möglicherweise zeigt sich Moskau im letzten Punkt hinsichtlich der Durchführung von Wahlen erst einmal kurzfristig kompromissbereit. Ob in der Folge über hybride Mittel oder eine militärische Eroberung – es spricht weniger als jemals zuvor dafür, dass Moskau das Ziel einer Eingliederung in den russischen Hegemonialbereich trotz formalen Erhalts der ukrainischen Staatlichkeit aufgeben wird. Europäische Unternehmen wären in diesem Szenario auf Dauer mit jenen politischen Risiken konfrontiert, die für den postsowjetischen Raum charakteristisch sind: Klientelismus, Korruption und die Verletzung von Rechtsstaatsprinzipien.


Leseempfehlungen:

Wolfgang Richter (2022): Ukraine im Nato-Russland-Spannungsfeld, Sicherheitsvereinbarungen und Rüstungskontrolle müssen wiederbelebt werden, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) Aktuell, No. 11 Februar 2022, https://www.swp-berlin.org/publications/products/aktuell/2022A11_ukraine_russland_nato.pdf.

Hannes Meissner (2025): Political Risks in the Post-Soviet Region: Geopolitical Risks, Country Risks, and Business Management Strategies In: Cecilia Emma Sottilotta, Julian Campisi, Johannes Leitner, Hannes Meissner (2025): The Routledge Handbook of Political Risk.

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