Schicksalswahl reloaded: Warum Polens Präsidentschaftswahl so entscheidend ist

Schicksalswahl reloaded: Warum Polens Präsidentschaftswahl so entscheidend ist

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Schicksalswahl reloaded: Warum Polens Präsidentschaftswahl so entscheidend ist

In Polen verfügt zwar der Präsident über weniger Macht als in den USA oder Frankreich, kann aber in bestimmten Fällen großen Einfluss ausüben: Er kann Gesetze blockieren, sie dem Verfassungsgericht vorlegen und Begnadigungen aussprechen. Seit Ende 2023 nutzt der scheidende Präsident Duda diese Befugnisse, um Reformen der Regierung Tusk zu behindern und PiS-Funktionär*innen zu schützen. Seine Amtszeit endet im August und das Ergebnis der kommenden Stichwahl am 1. Juni entscheidet über die Zukunft Reformkurses der Regierung Tusk.

Was steht bei dieser Wahl auf dem Spiel?

Mit der Abwahl der Regierung der rechtsnationalen Partei Recht und Gerechtigeit (PiS) im Herbst 2023 verband sich die Hoffnung, den von ihrem betriebenen Umbau demokratischer Institutionen umkehren zu können und Polen wieder fest in der demokratischen Wertegemeinschaft zu verankern. Außenpolitisch zeigte sich die Wende schnell: die neue Regierung setzte auf einen proeuropäischen Kurs und Ausbau der internationalen Allianzen. Doch innenpolitisch gestaltet sich der Reformprozess schwierig, auch wenn die EU als Zeichen der Anerkennung für erste Fortschritte in der Justiz das Artikel-7-Verfahren einstellte und die zuvor eingefrorenen Mittel aus dem Wiederaufbaufonds freigab. Hauptursache für die schleppende Umsetzung ist die fortbestehende Macht der PiS in mehreren Institutionen. Ein zentrales Hindernis ist Präsident Andrzej Duda, der der Regierung einen „Terror der Rechtsstaatlichkeit“ vorwarf und ankündigte, alle Gesetze zu blockieren, die PiS-Reformen rückgängig machen sollen, sei es per Veto oder durch Weiterleitung an das PiS-dominierte Verfassungsgericht. Da die Regierung nicht über die nötige Drei-Fünftel-Mehrheit im Parlament verfügt, können viele Reformen damit effektiv verhindert werden.

Wegen des Präsidenten stockt auch die juristische Aufarbeitung der PiS-Ära, etwa bei Korruptionsfällen oder dem fragwürdigen Einsatz von Pegasus gegen politische Gegner. Duda begnadigte bereits zwei PiS-Politiker, die vorher wegen Amtsmissbrauchs verurteilt wurden. Die Regierung muss also mit einem Präsidenten koexistieren, der ihre zentrale Reformvorhaben blockiert.

Die beiden Herausforderer der Stichwahl

Dreizehn Kandidat*innen sammelten die erforderlichen 100.000 Unterstützungsunterschriften für das Präsidentschaftsrennen, doch der Wahlkampf konzentrierte sich vor allem auf das Duell zwischen den Kandidaten der beiden größten politischen Lager. Rafał Trzaskowski, der liberalkonservative Bürgermeister von Warschau und stellvertretende Vorsitzende der Bürgerkoalition (KO), lag von Beginn an in Führung. Es ist sein zweiter Anlauf: 2020 unterlag er nur knapp dem damaligen Amtsinhaber Andrzej Duda. Trzaskowski ist promovierter Politikwissenschaftler mit umfassender EU-Erfahrung, zunächst als Experte, später als Abgeordneter, sowie als ehemaliger Minister Polens für Verwaltung und Digitalisierung. Fachlich gilt er als der am besten vorbereitete Kandidat und setzte sich in der parteiinternen Vorwahl erfolgreich gegen Außenminister Radosław Sikorski durch. Er spricht sich deutlich für die Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes, die Einführung von Lebenspartnerschaften, Ankerkennung des Schlesischen als Minderheitssprache (was seine Gegner*innen als Spaltung der Gesellschaft betrachten), sowie für die Migrationspolitik der Regierung aus. Auch außenpolitisch steht er hinter dem proeuropäischen und transatlantischen Kurs, und anders als Donald Tusk, vermied er, Donald Trump offen zu kritisieren. Irritationen riefen jedoch mehrere Positionen hervor, die als untypisch für ihn gelten: etwa die Streichung von Kindergeld für ukrainische Geflüchtete, der harte Kurs an der belarussischen Grenze oder seine demonstrative Zurückhaltung gegenüber Symbolen wie der Regenbogenfahne in der Kampagne, obwohl er die LGBTQIA+-Rechte grundsätzlich unterstützt. Damit hoffte sein Stab, die Erwartungen der eher konservativen Wählerschaft der KO sowie unentschlossener Wählerschaft zu bedienen. Bei progressiveren Wähler*innen und Anhänger*innen der Linken stieß er jedoch auf weniger Resonanz, und ihre Stimmen könnten in der Stichwahl sehr wichtig für ihn sein.

Da Andrzej Duda kein drittes Mal antreten darf, setzte die PiS auf Karol Nawrocki, promovierter Historiker, Direktor des Instituts für Nationales Gedenken und zuvor Leiter des Museums des Zweiten Weltkriegs. Obwohl er keine politische Laufbahn vorzuweisen hat und als „Bürgerkandidat“ auftritt, gelten beide Institutionen als tragende Säulen der erinnerungspolitischen Agenda der PiS, die Nawrocki als Direktor aktiv mitgestaltet hat. Seine wissenschaftliche Karriere geriet in der Kampagne zunehmend in den Hintergrund, nicht zuletzt wegen umstrittenen Bekannten aus dem rechtsextremen Milieu und eines Skandals um eine verschwiegene Zweitwohnung, die ihm von einem älteren Mann im Gegenzug für lebenslange Betreuung überschrieben wurde, die jedoch nie erfolgte. Der Fall überschattete sogar seinen Besuch im Weißen Haus und kurzes Treffen mit Donald Trump. Nawrocki kündigte auch an, gegen den Green Deal, den er als “Ökoterrorismus” bezeichnet zu kämpfen, und bekräftigte seine Unterstützung für die Fortsetzung der Forderungen nach Reparationen von Deutschland sowie für Steuersenkungen. Zugleich sprach er sich deutlich gegen eine Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes aus und warnte vor seiner Ansicht nach gefährlichen “Ideologien“ in den Schulen, die Kinder in Schulen negativ beeinflussen würden. In der Außenpolitik zeigt er sich EU-skeptisch, betont jedoch eine enge Ausrichtung an den Vereinigten Staaten. Bei seiner letzten Wahlkampfkundgebung trat auch George Simion, dem Präsidentschaftskandidat der rumänischen rechtspopulistischen Partei AUR, auf.

Sicherheit und existenzielle Alltagsthemen dominierten die Kampagne

 Die Themen dieser Kampagne konzentrierten sich vor allem auf Sicherheit, das Gesundheitssystem, die steigenden Lebenshaltungskosten und die Wohnungsnot. Aspekte der Rechtsstaatlichkeit spielten dabei eine eher untergeordnete Rolle.

Medienanalysen zeigen deutliche Verzerrungen in der Berichterstattung: Während PiS-nahe TV Republika Nawrocki überwiegend positiv und Trzaskowski negativ darstellte, war das Muster beim öffentlich-rechtlichen TVP genau umgekehrt. Anders als in früheren Wahlkämpfen dominierten diesmal TV-Formate die Kampagne, die später in gekürzter Form auch auf Social Media verbreitet wurden. Die Debatten blieben aber meist oberflächlich, selbst die über 220 Minuten lange, bot bei 13 Kandidat*innen wenig Raum für vertiefte Diskussionen. Mehr Tiefgang ermöglichten Podcasts und lange Interviews, unter anderem auf dem reichweitestarken YouTube-Kanal eines Kandidaten,  der bis zu vierstündige Gespräche (!) mit anderen KandidatInnen führte.

Was die Ergebnisse des ersten Wahlgangs für die Stichwahl bedeuten?

In der Stichwahl trifft Trzaskowski (31,4 % im ersten Wahlgang) auf Nawrocki (29,5%). Trzaskowski punktete bei Frauen, 40- bis 59-Jährigen und in Großstädten. Nawrocki dominierte bei Männern, älteren Wähler*innen und auf dem Land[1].

Das Rennen dürfte knapp werden, auch deshalb, weil die drei Kandidat*innen der linken Parteien, deren Wählerschaft ideologisch Trzaskowski am nächsten steht, zu schwach abgeschnitten haben (zusammen etwa 10 %). Umgekehrt wurden die beiden rechtsradikalen Kandidaten in den Umfragen zuvor unterschätzt, erreichten aber gemeinsam immerhin 21 %. Jetzt kommt es auf deren Wähler*innen an: Ob sie überhaupt zur Stichwahl gehen und wenn ja, für wen sie stimmen.

Entscheidend wird auch die Mobilisierung. Im ersten Wahlgang lag die Wahlbeteiligung bei 67,3 %, unter den Auslandspol*innen sogar bei 89 %. Besonders aktiv war die Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen (72,8 %), in der der rechtspopulistische Mentzen vorne lag. Auch bei den 30- bis 39-Jährigen war er der stärkste Kandidat.

Aktuelle Prognosen sprechen für Nawrocki. Die Situation erinnert an die Präsidentschaftswahl 2015: Damals unterlag der populäre Präsident Komorowski (KO) überraschend dem politisch unbekannten Andrzej Duda. Am 1. Juni wird sich zeigen, ob sich die Geschichte wiederholt oder ob ein Durchbruch gelingt.

Chancen auf eine Re-Demokratisierung?

Mit Nawrocki als Präsident würde der Demokratisierungsprozess weiterhin gebremst. Ein Sieg Trzaskowskis könnte viele, jedoch nicht alle, Probleme lösen. Ein Machtwechsel im Präsidentenamt könnte zwar das Risiko eines Vetos entschärfen und die Rücknahme früherer PiS-Reformen ermöglichen, aber der Weg dorthin wäre noch lang. Das Verfassungsgericht bleibt bis 2028 von der PiS-treuen Richter*innen dominiert. Zudem stellt die Regierungskoalition mit ihren divergierenden Positionen, etwa in der Abtreibungsfrage, ein weiteres Konfliktpotenzial dar, das auch nach der Wahl zu Spannungen führen kann.

Die vollständige Re-Demokratisierung ist ein langfristiger Prozess, der über die laufende Legislaturperiode hinausgeht. Ob dieser Kurs fortgeführt wird, bleibt offen, denn Umfragen zeigen, dass sich die KO zwar stärken konnte, ihre konservativen Koalitionspartner jedoch zugunsten der rechtspopulistischen Konfederacja an Unterstützung verlieren, was die politische Balance künftig verschieben könnte .


Datenbasis von Wirtualna Polska: https://wiadomosci.wp.pl/wybory-prezydenckie-2025-sa-pelne-wyniki-glosowania-z-pkw-7158295152802528a


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