![Rechtspopulisten in Rumänien. Nationalismus, soziale Ungleichheiten, und die Rebellion gegen die Vernunft.](https://eastblog.univie.ac.at/wp-content/uploads/2024/12/g2-636x310.jpg)
Rechtspopulisten in Rumänien. Nationalismus, soziale Ungleichheiten, und die Rebellion gegen die Vernunft.
Rumänien steht vor einer der schwersten Krisen seit 1989. Überraschend gewann Călin Georgescu, ein Ökofaschist, wie Adelheid Wölf im Standard schreibt, den ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen. Bei der Parlamentswahl erzielten die rechtsextreme AUR, SOS România und die zuvor unbekannte Partei der Jungen Menschen gemeinsam über 30 %.
Dramatische Entwicklungen erst durch den
Verfassungsgerichtshof gestoppt
Vor vier Jahren warnte einer der Autoren dieses Textes im Standard vor
einem politischen Rechtsruck und einer
Umstrukturierung des Parteienspektrums. Jetzt haben die Rechtspopulisten es geschafft eine
breite Wählerschaft zu mobilisieren, die von wirtschaftlicher und kultureller Unsicherheit
und sozialen Spannungen geprägt ist. Georgescus Positionen, darunter das
angekündigte Ende der Ukraine-Unterstützung, haben weitreichende geopolitische
Folgen. Als Staatspräsident hätte er in Rumänien maßgeblichen Einfluss auf die
Außen- und Verteidigungspolitik, was auch für die EU und NATO eine enorme
Herausforderung
darstellt.
Der rumänische Verfassungsgerichtshof annullierte am 6. Dezember den ersten Wahlgang. Ob dies Ausdruck wehrhafter Demokratie oder eines Versuchs der Eliten ist, an der Macht zu bleiben, bleibt umstritten.
Traditionelle Werte vs. westliche Demokratie: Die Ideologie der Rechtspopulisten
Rechtspopulisten gewinnen oft dort an Einfluss, wo Mainstream-Parteien und moderate rechte Kräfte ideologisch zusammenrücken, indem sie radikalere Wähler ansprechen, die sich als Verlierer sozioökonomischer Veränderungen sehen. In Rumänien haben etablierte Parteien über Jahre hinweg nationalistische Rhetorik und religiöse Klischees normalisiert. Dies bereitete den Boden für radikale Kräfte, die diese Narrative aggressiv aufgreifen und mit Anti-Establishment-Positionen verbinden. Sie lehnen westliche Werte, liberale Demokratie und LGBTQ-Rechte ab, propagieren nationale Autarkie und verteidigen „traditionelle Werte“. Wie Ruth Wodak zeigt, schüren Populisten gezielt Ängste um eine vermeintlich bedrohte Lebensweise. Georgescu argumentierte, dass jeder andere Präsident einen Krieg mit Russland provozieren würde, und warb für „Neutralität“ in geopolitischen Fragen. Diese Position fand besonders in euroskeptischen und ländlichen Regionen Anklang.
Ausserdem instrumentalisierte er gezielt soziale Ungerechtigkeiten [H1] und stützte sich auf religiöse und verschwörungstheoretische Narrative, die ihn in den Augen seiner Anhänger zu einer quasi-messianischen Figur machten. Georgescu verband esoterischen New-Age-Mystizismus mit nationalistischen Idealen, inspiriert von der historischen Legionärsbewegung. Diese Ideologie sicherte ihm auch Unterstützung durch orthodoxe Geistliche, die seinen Status weiter stärkten.
Seine Erzählungen stehen im klaren Widerspruch zur Vernunft der Aufklärung und fördern eine Re-Mystifizierung der Welt. Eine Vernunft, die bestehende Verhältnisse, im Besonderen Produktionsverhältnisse, als alternativlos darstellt. Eine Vernunft, die die Menschen zum Beherrscher der Natur erhebt, aber gleichzeitig große Teile der Menschheit zu Beherrschten macht, wie Adorno und Horkheimer beanspruchten. Georgescus Rhetorik richtet sich gegen die Idee einer alternativenlosen Rationalität, sein Diskurs und das blinde Folgen seiner Anhänger sind eine „Rebellion gegen die Vernunft“.
Medienstrategien der Rechtspopulisten
Rechtspopulisten profitieren von einer Medienlogik, die Konflikte und Skandale bevorzugt. Akteure wie Diana Șoșoacă (SOS) und George Simion (AUR) haben diese Dynamik gezielt genutzt, um mediale Aufmerksamkeit zu erlangen. Șoșoacă provozierte regelmäßig Schlagzeilen, zuletzt als sie aus dem EU-Parlament eskortiert wurde. Solche Aktionen sichern populistischen Akteuren Sichtbarkeit. Călin Georgescu hingegen setzte als „dark horse candidate“ auf Zurückhaltung, was sein mysteriöses Image und seine Attraktivität für enttäuschte Wähler stärkte.
Die Mobilisierungsstrategien der Rechtspopulisten sind eng mit den politischen und sozialen Bedingungen der letzten Jahre verbunden. Proteste vor der Corona-Pandemie, die sich zwar überwiegend pro-europäisch positionierten, jedoch auch massiv Anti-Establishment-Ressentiments bedienten, boten Rechtspopulisten eine Grundlage, um sich als Alternativen zu präsentieren. AUR konzentrierte sich auf eine populistische Kampagne, die soziale Probleme wie hohe Kreditzinsen, Probleme mit dem Bildungssystem und bezahlbaren Wohnraum thematisierte. Georgescus Kampagne hingegen war stark auf soziale Medien ausgerichtet, insbesondere TikTok, und nutzte bestehende Facebook- und Instagram-Gruppen, die ursprünglich unpolitische Themen wie Kindererziehung oder regionale Nachrichten behandelten. Diese Gruppen dienten später gezielt der Verbreitung seiner Botschaften, was auf eine strategische Übernahme oder gezielte Gründung hinweist. Diese Strategie hat zu einer „Flutung“ der sozialen Medien mit rechtspopulistischen Nachrichten geführt. Obgleich die Medienstrategien funktionieren, verdeutlichen die Wahlen aber auch, dass das Mobilisierungspotenzial der Rechtsextremen im Moment bei etwa drei Millionen Stimmen liegt. Das ist weniger als die Ja-Stimmen beim „Referendum für die Familie“ von 2018 (3,5 Millionen), das von denselben Kräften getragen wurde. Das Scheitern des Referendums trug maßgeblich zur Entscheidung bei, einen rechtspopulistischen „Marsch durch die Institutionen“ zu verfolgen.
Die Rolle der Diaspora
Rumänien ist von starken sozialen und regionalen Ungleichheiten [H2] geprägt, mit Regionen wie der Hauptstadt, die bei 180% des EU-Entwicklungsdurchschnitts liegt, und Regionen wie der Nord-Osten des Landes, die bei 40% liegen. Materielle Entbehrung und Armut haben gerade in diesen Regionen zu Massenauswanderung geführt. Über vier Millionen Rumänen (Gesamt: 19 Mio. in 2021) leben jetzt im Ausland, häufig unter prekären Bedingungen. Als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft, Pflegekräfte oder unqualifizierte Arbeitskräfte in der Fleisch- und Schlachtindustrie sind sie physisch und sozial entfremdet. Diese „moderne Form von Lumpenproletariat“ spiegelt die Abhängigkeit der Auslandsrumänen von schlecht bezahlten, unsicheren Jobs wider, die den „menschlichen Preis“ der europäischen Lebensmittelversorgung zahlen. Ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen bleiben oft unsichtbar, begleitet von systematischer Marginalisierung.
Auch politisch fühlen sich viele Rumänen ausgeschlossen. Entscheidungen wie das inzwischen aufgehobene österreichische Veto gegen die Schengen-Erweiterung verstärken das Gefühl, von der EU nicht respektiert zu werden. Die Diskrepanz zwischen den Hoffnungen auf sozialen Aufstieg und den Erfahrungen von Ausgrenzung führt dazu, dass Teile der Diaspora zunehmend orthodox-nationalistische Bewegungen unterstützen, und mit 43 % für Georgescu in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen gestimmt haben. Die Rechtspopulisten versprechen Stolz und Widerstand gegen die als herabwürdigend empfundene Behandlung Rumäniens und der Rumänen.
Die Herausforderung der Reintegrierung radikalisierter Wähler in die Demokratie
All diese Faktoren – sozioökonomische Missstände, räumlichen Disparitäten und die strategische Mobilisierung von Frustrationen durch populistische Akteure – erklären den Erfolg von Rechtspopulisten, wie Dunin-Wąsowicz et al. (2024) zeigen. All diese Faktoren müssen angegangen werden. Denn die Anhänger der Rechtspopulisten bleiben, vielleicht auch gerade weil die „demokratische Übernahme“ der staatlichen Institutionen verhindert wurde, radikalisiert. Ihre Frustration speist sich aus einem Wirtschaftssystem, das Fabrikschließungen, Migration und Unsicherheit verursacht, während wenige profitieren. Diese Ungleichheit treibt Verschwörungstheorien und Populismus an. Parteien wie SOS und AUR gedeihen in einer entfremdeten Gesellschaft, in der die Familie als letzte sichere Zuflucht erscheint.
Politisch müssen soziale Medien und Parteienfinanzierung besser reguliert werden. Zentral ist aber, wachsende Ungleichheit zu bekämpfen. Der Aufstieg der Rechtspopulisten zeigt die politischen Folgen neoliberaler Politik. Bildung, Gesundheit und nachhaltiger Wohlstand müssen Vorrang erhalten, um enttäuschte Wähler nicht den Populisten zu überlassen.