
Sanktionen und Verbote – stärken sie wirklich den ukrainischen Staat?
Der Sicherheitsrat der Ukraine beschloss am 13.2. Sanktionen gegen zwei Politiker und drei reiche Unternehmer, welche durch Dekret des amtierenden Präsidenten wirksam wurde. Dieser Entscheidungsprozess ist durch Artikel 107 der ukrainischen Verfassung vorgegeben[1]. Die Sanktionen beschränken deren Fähigkeiten als juristische Personen, blockieren ihre Vermögenswerte und beschneiden ihre Bewegungsfreiheit auch innerhalb des Landes. Die beiden Politiker sind Petro Poroschenko und Wiktor Medwedtschuk. Letzterer hält sich jedoch gar nicht im Land, sondern in Russland auf. Die Unternehmer sind Konstantin Schewago, ein Milliardär und Eigentümer der Gruppe „Finanz und Kredit“, sowie die beiden Milliardäre und Eigentümer der „Privat“-Gruppe Igor Kolomojskyj und Genadij Bogoljubow.
Sanktionen gegen politische Konkurrenten wie Ex-Präsident Poroschenko
Das meiste Aufsehen in den Medien erregte der Sanktionsbeschluss gegen den ehemaligen Präsidenten und Führer der größten Oppositionspartei Poroschenko[2]. Die Journalisten vermuten einen Zusammenhang mit der Forderung von US-Präsident Trump an die Ukraine nach Neuwahlen für das Amt des Präsidenten. Vereinfacht ausgedrückt wird vermutet, dass der amtierende Präsident mit den Sanktionen gegen Poroschenko einen Konkurrenten kaltstellen will. Seit 2022 wurde das bereits mehrfach versucht, etwa mit dem Vorwurf des Hochverrats gegen ihn. Dieses Mal werden dessen Geschäfte während seiner Zeit als Präsident mit Firmen in der separatistischen Ostukraine aus den Jahren 2014 und 2015 erwähnt. Aus dem Verkauf von Kohle aus den Separatistengebieten habe er damals persönlich 72 Mio. US-Dollar an Profit gewonnen [3].
Poroschenko ist sicher jemand, der sich persönlich in den Jahren seit der Unabhängigkeit privat bereichert hat. Neben dem vermuteten eigenen Gewinn aus dem Kauf von Kohle aus dem Donbass steht auch die Behauptung aus dem Prozess gegen Medwedtschuk im Mai 2022, Poroschenko habe sich an der Privatisierung einer Erdölpipeline bereichert[4]. In den Kommentaren zum Sanktionsbeschluss geht es aber weniger um diese Seite des Sanktionierten als um dessen Rolle im zukünftigen Wahlkampf. In diesem Zusammenhang gibt es auch wieder Informationen über den Versuch der Präsidialverwaltung, einen anderen Konkurrenten Selenskyjs, den Kyjiwer Bürgermeister Klytschko, in seinen politischen Handlungsmöglichkeiten einzuschränken[5]. Die Beziehung von Präsidialverwaltung und dem gewählten Bürgermeister der Hauptstadt war in den letzten Jahren mehrfach durch Konflikte geprägt.
Ursprünglich hatte der amtierende Präsident erklärt, dass er kein zweites Mal zur Wahl antreten will. Inzwischen lässt er die Frage offen, wie aus einem Bericht von Martin Küpper auf t-online hervorgeht.[6] Und zusätzlich hat der jüngste Konflikt mit Donald Trump Wolodymyr Selenskyi dazu gebracht auf seinem Antreten bei einer zukünftigen Präsidentenwahl zu bestehen.
Ehemaliger Oberbefehlshaber Saluschnyj nun Botschafter in Großbritannien
Jedoch hat sich in einer Umfrage im November letzten Jahres ein anderer politischer Konkurrent als Poroschenko in den Vordergrund geschoben, der frühere militärische Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj. Er wurde im Februar 2024 von Selenskyj entlassen und ist seit dem Mai des vergangenen Jahres Botschafter der Ukraine in Großbritannien. Saluschnyj wurde in der Umfrage vom November 2024 von 27 Prozent der Befragten als ihr Favorit für das Amt des nächsten Präsidenten bezeichnet, Selenskyj wurde mit 16 Zustimmung Zweiter, Poroschenko erhielt als Dritter sieben Prozent. Witalij Klytschko lag in dieser Umfrage mit zwei Prozent erst an neunter Stelle[7].
Warum Poroschenko trotzdem als potentielle Gefahr angesehen wird, kommentierte eine andere ukrainische Zeitung, „Strana“, in einem Bericht schon am 23.1.25, als bereits über Sanktionen gegen ihn spekuliert wurde, wie folgt: „Besorgniserregender ist jedoch die von ihm geschaffene politische Infrastruktur – eine Partei mit einer weit verzweigten Organisationsstruktur, Informationsressourcen sowie die hohe Aktivität der Unterstützer des Ex-Präsidenten in sozialen Netzwerken und im Medienbereich allgemein“[8]. Die „Europäische Solidarität“, jene Partei Poroschenkos, war bei den Parlamentswahlen 2019 die viertstärkste Partei. Nach dem Verbot der größten Oppositionspartei, die v.a. im Osten und Süden ihre Basis hat, der „Oppositionsplattform – Für das Leben“, und dem Wechsel einiger Abgeordneter der drittplatzierten „Vaterlandspartei“ Timoschenkos in andere Fraktionen ist die Partei des ehemaligen Präsidenten nun allerdings zur größten Oppositionsfraktion“ geworden.
Maßnahmen im Geiste des Spätsozialismus?
Offenbar ist ungeachtet dessen der frühere Oberbefehlshaber Saluschnyj das größere Problem für die Partei des Präsidenten in einer zukünftigem Wahl. Bei Betrachtung der Methode, mit der er kaltgestellt wurde, fällt außer der starken Zentralisierung der staatlichen Kompetenzen in der Ukraine in der Präsidialverwaltung und dem Sicherheitsrat noch etwas auf: Eine Anleihe bei spätsozialistischen Traditionen. Während unter Stalin Opponenten anfangs in die Verbannung geschickt und später in Schauprozessen zum Tode verurteilt wurden, waren es später weniger brutale Methoden. Die Abschiebung auf (von der Macht) entfernte Funktionen, entweder (wie in der DDR) als Mitarbeiter in staatliche Archive, oder aber, sehr beliebt, als Botschafter des Landes irgendwohin. So wurde Alexander Dubček nach seiner Entmachtung als Parteiführer 1969 Botschafter der Tschechoslowakei in der Türkei. Und Alexander Jakowlew, als Abteilungsleiter des ZK der KPdSU für Ideologie abgelöst und kaltgestellt, wurde 1973 sowjetischer Botschafter in Kanada.
Auf diese Weise zeigt sich gewissermaßen trotz versuchter Abnabelung von der eigenen sowjetischen Tradition doch eine historische Kontinuität in den Methoden der Machtausübung zwischen der staatssozialistischen Spätzeit und der heutigen Ukraine. Darin wird allerdings auch deutlich, welche Defizite das Land, sicher begünstigt durch den Krieg, auf politischem Gebiet hat. In der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament, protestierten die empörten Abgeordneten der größten Oppositionspartei, der Partei Poroschenkos, gegen die verhängten Sanktionen gegen ihren Chef und blockierten das Rednerpult. Dabei hielten sie ein Transparent hoch, auf dem stand: „ні диктатури“ (keine Diktatur)!
Schwächung der Demokratie der Ukraine
Sanktionen, Verbote von Parteien und
Religionsgemeinschaften sowie Abschiebungen von störendem Personal auf
abgelegene Posten lösen möglicherweise kurzfristig bestimmte Probleme der
Macht. Langfristig allerdings schwächen sie den demokratischen Staat in der
Ukraine. Und zwar vor allem deshalb, weil damit die demokratischen Rechte der
Bürgerinnen und Bürger auf eine freie Wahl der Alternativen in der Lösung
politischer Probleme des Landes eingeschränkt werden. Das wiederum beeinträchtigt
die Stabilität der demokratischen Herrschaft.
[1] Siehe dazu den Verfassungstext unter: https://www.verfassungen.net/ua/.
[2] Vgl. u.a. den Bericht in „Kyiv Independent“ am 13.2.25 „Following an attack on opposition, Zelensky effectively begins election season”, link: https://kyivindependent.com/following-an-attack-against-on-opposition-zelensky-effectively-begins-election-season/ (aufgerufen am 21.2.25). Am gleichen Tag berichteten auch “Süddeutsche Zeitung“, „Tagesspiegel“ oder der ORF darüber.
[3] Darüber berichtet der „Kyiv Independent“ vom 14.2. „Ukraine opens criminal cases against ex-President Poroshenko, sanctioned oligarchs, businessmen“, link: https://kyivindependent.com/ukraine-opens-criminal-cases-against-ex-president-poroshenko-sanctioned-oligarchs-businessmen/ (aufgerufen am 21.2.25).
[4] Siehe den Artikel von Denis Rafalskyj über Aussagen von Medwedtschuk in „Strana“, 23.5.22: https://strana.best/articles/analysis/392270-pokazanija-medvedchuka-na-poroshenko-naskolko-verojaten-arest-pjatoho-prezidenta.html (aufgerufen am 21.2.25).
[5] Vgl. einen Bericht in „Strana“ vom 10.2.25: https://strana.news/articles/analysis/479295-novyj-konflikt-klichko-s-bankovoj-chto-on-oznachaet.html (aufgerufen am 21.2.25).
[6] Siehe seinen Bericht vom 15.01.25 „Neuwahlpläne in der Ukraine. Will er Selenskyjs Job?“, https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/id_100574328/ukraine-selenskyjs-konkurrenten-bringen-sich-fuer-wahlen-in-stellung.html (aufgerufen am 21.02.25).
[7] Die Daten stammen aus einem Bericht der ukrainischen Zeitung „Zerkalo Nedeli“ vom 26.11.24, https://zn.ua/ukr/POLITICS/zaluzhnij-peremozhe-na-viborakh-prezidenta-ne-zalezhno-vid-konkurentiv-sotsdoslidzhennja.html (aufgerufen am 21.2.25)..
[8] Zitiert aus dem Bericht in „Strana“ vom 23.1. „Sanktionen gegen Poroschenko. Bereitet die Macht eine Attacke gegen den Ex-Präsidenten vor und was macht Saluschnyj hier?“, link: https://strana.news/articles/analysis/478742-zachem-vlasti-hotovit-ataku-na-poroshenko-i-budut-li-vvedeny-protiv-neho-sanktsii-snbo.html (aufgerufen am 21.2.25).