
Kaderschmieden der Nation: Die strategische Umgestaltung der Hochschullandschaft in Ungarn I
Seit dem frontalen Angriff der Trump Administration auf die Elite Universitäten der USA ist erneut deutlich geworden, dass die Kontrolle über Hochschul- und Forschungseinrichtungen ein zentrales Instrument rechtspopulistischer Parteien zur Zementierung ihrer Herrschaft ist. Weltweit spiegelt sich der Vormarsch dieser Parteien in dem Rückgang akademischer Freiheit – also der Freiheit von Forschung und Lehre, des akademischen Austauschs und institutioneller Autonomie – wider, wie in dem vom renommierten V-Dem Institut berechneten Index der akademischen Freiheit dokumentiert.[i]
Der Angriff auf Bildung ist dabei kein Zufall. In autoritären und rechtspopulistischen Projekten stellt Bildungspolitik einen strategischen Hebel zur langfristigen Transformation gesellschaftlicher Machtverhältnisse dar. Rechtspopulistische Parteien verfolgen häufig nicht allein den Abbau von Wissenschaftsfreiheit, sondern eine langfristige und vielschichtige Strategie des Umbaus des Bildungswesens, einschließlich des Hochschul- und Forschungswesens, um so ihre Herrschaft ideologisch und machtpolitisch zu zementieren. Diese Strategie ist zudem untrennbar mit ihrer wirtschaftspolitischen Strategie verbunden. Damit verfolgen diese Regierungen eine gramscianische Strategie der Macht, benannt nach dem italienischen Theoretiker Antonio Gramsci. Dieser hat mit seinem Konzept der kulturellen Hegemonie herausgearbeitet, dass die Stabilisierung politischer Herrschaft nicht allein durch Macht, sondern auch durch die Erzeugung von Zustimmung innerhalb der Bevölkerung erfolgt.[ii] In diesem Zusammenhang fungieren Bildungsinstitutionen als Schlüsselinstrumente zur Entwicklung und gesellschaftlichen Verfestigung der dominanten Ideologie, zur Formierung „organischer“ Intellektueller und auch zur wirtschaftlichen Untermauerung der politischen Macht. Der frontale Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit ist hier also nur die Spitze des Eisbergs. Rechtspopulistische Parteien investieren häufig in eine langfristige und vielschichtige Strategie des Umbaus des Bildungswesens um damit ihre Herrschaft ideologisch, machtpolitisch und auch wirtschaftlich zu untermauern. Dies lässt sich hervorragend am ungarischen Beispiel zeigen.
Frontaler Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit
Auch Ungarn hat mit der frontalen Attacke auf die Wissenschaftsfreiheit seit Anfang des Orbán Regimes Schlagzeilen gemacht. Daniela Apaydin vom Institut für den Donauraum identifiziert drei zentrale Mechanismen, die der Regierung dazu dienten, politische Kontrolle über den Hochschulbereich zu erhalten: erstens führten neue Gesetze und Dekrete dazu, dass Hochschulen nun einem direkten Regierungseinfluss unterliegen. Weiterhin wurden „nicht-konforme ForscherInnen, Forschungsbereiche und Institutionen durch Diffamierungen und Feindbild-Rhetorik an den öffentlichen Pranger gestellt“. [iii] Zudem wurden die meisten Universitäten in Privatstiftungen umgewandelt, die von regierungsnahmen Unternehmen unterhalten werden. Aufgrund der intransparenten Privatisierung und Finanzierung von mittlerweile 21 Universitäten haben diese den Zugang zur europäischen Erasmus- und Forschungsfinanzierung verloren.[iv] Ein herber Schlag gegen die Wissenschaftsfreiheit war auch die 2018 erfolgte Vertreibung der 1991 vom amerikanisch-ungarischen Billionär George Soros gegründeten Central European University (CEU) aus Budapest.[v]
Parallel zum radikalen Umbau der (ehemals) staatlichen Hochschulen und Forschungsreinrichtungen und der Vertreibung der CEU hat die Regierung allerdings auch den Aufbau von neuen Bildungsinstitutionen massiv vorangetrieben.
MCC: Schmieden einer neuen Führungselite und breite transnationale Vernetzung
Über die Grenzen hinaus bekannt ist das das Mathias Corvinus Collegium (MCC), das von der ungarischen Regierung großzügig gefördert wird und als Kaderschmiede für eine neue Führungselite dient.[vi] Es wurde 1996 von einem Fidesz-nahen Geschäftsmann gegründet, und 2020 finanziell massiv aufgewertet, als die ungarische Regierung der MCC Stiftung jeweils 10 Prozent der Anteile des Energieriesen MOL und des Pharmakonzerns Gedeon Richter – insgesamt ca. 1,7 Milliarden Euro – übertrug. MCC hat damit eine Ausstattung, die größer ist als die aller ungarischen Universitäten zusammen.
Das MCC betätigt sich als Bildungsträger und Think Tank, und baut systematisch internationale Netzwerke von rechten Kräften aus. Ein Schwerpunkt liegt auf Ausbildungsprogrammen, welches sich an Schüler, Studierende und Doktoranden von Schulen und Universitäten im karpatischen Becken richtet. Es werden sechs unterschiedlichen Fachrichtungen angeboten: Rechtswissenschaft, Internationale Beziehungen, Wirtschaft, Psychologie, Sozialwissenschaften und Geschichte. Hier werden wichtige Zusatzqualifikationen vermittelt, und tausende von Stipendiaten intensiv in Kleingruppen betreut und in eine Reihe von intellektuellen Aktivitäten eingebunden. In einem Land, in denen die die meisten Universitäten systematisch unterfinanziert werden, kann das MCC damit mit einem sehr attraktiven Angebot punkten, die die intellektuelle Entwicklung ihrer Stipendiaten dauerhaft prägen wird.
Als Thinktank bearbeitet das MCC in Vorträgen, Konferenzen und Publikationen eine breite Themenpalette. So werden viele aktuelle linke und grüne Themen aufgegriffen und ultrakonservativ besetzt, gleichzeitig aber auch stark eigene Akzente – wie Migration, Familie, oder europapolitische Visionen – gesetzt. Die internationale Vernetzung des MCC in rechten Kreisen ist bekannt. So geben sich am Budapester Standort MAGA Bewunderer, rechtskatholische und postliberale Kräfte die Klinke in die Hand und es besteht enge Kooperation z.B. mit der amerikanischen Heritage Stiftung, deren Projekt 2025 als Blaupause vieler Politiken der Trump Administration gilt.[vii]
In Österreich ist das MCC vor allen Dingen durch im Mai 2023 erfolgte Übernahme der Moduluniversität bekannt geworden.[viii] Wie der Standard bereits mehrfach berichtete, hat die Übernahme zu einer schleichenden Veränderung des intellektuellen Klimas an der Uni geführt.[ix] Bemerkenswert ist auch, dass die ehemalige ÖVP-Ministerin Elisabeth Köstinger sowie die Wiener ÖVP Landtagsabgeordnete und Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer Kasia Greco im Universitätsrat der Modul Universität sitzen.[x] Auch die in Berlin ansässige ESMT (European School of Management and Technology) ist 2023 eine umfassende Kooperation mit dem MCC eingegangen.[xi] Ziel dieser Zusammenarbeit ist es, dem ungarischen Nachwuchs Zugang zu der hochrenommierten Business School mit ihrem breiten Netzwerk in die deutsche Wirtschaft zu verschaffen. Auch in Brüssel ist das MCC sehr aktiv. Insgesamt hat oder plant es Niederlassungen in 35 europäischen Städten, mit einem Schwerpunkt im Karpatenraum. Dies zeugt von einer breiten Internationalisierungsstrategie.
Fudan Campus: Das Umwerben der aufstrebenden Supermacht China
Auch das – vorerst allerdings auf Eis gelegte – Projekt der Regierung, einen Campus der chinesischen Fudan Universität in Budapest zu bauen zeugt von einer ambitionierten Internationalisierungsstrategie. Die Fudan Universität zählt weltweit zu den führenden Universitäten und nimmt in mehreren Hochschulrankings eine Spitzenposition ein. Gleichzeitig wird sie von der kommunistischen Partei Chinas eng kontrolliert.[xii] Mit Unterstützung der ungarischen Nationalbank konnte die Fudan Universität bereits 2018 eine Kooperation mit der Corvinus Universität eingehen.[xiii] Das Projekt eines eigenen Campus wurde 2019 von der chinesischen Regierung als Priorität in den bilateralen Beziehungen erklärt, und reiht sich in die ungarische Strategie der wirtschaftlichen Öffnung zum Osten ein. Für Fudan wäre es der erste Campus in der EU. Die Lehre auf dem Fudan Campus sollte sich auf Wirtschaft, Medizin, Ingenieurwesen und neue Technologien konzentrieren und wäre für ca. 5000 chinesische, ungarische und europäische Studierende ausgerichtet.[xiv] Aufgrund massiven Widerstands der Stadt Budapests und des betroffenen Bezirks rückte die Regierung im Winter 2024 allerdings zunächst von ihrem Campus Plan ab. Allerdings ist der Fudan Campus damit nicht endgültig vom Tisch, da das 2021 abgeschlossene Kooperationsabkommen zwischen der Universität und Ungarn weiterhin gültig ist. [xv]
Am ungarischen Beispiel wird sichtbar, wie sich autoritäre Bildungsstrategien nicht allein in repressiven Maßnahmen und institutionellen Umbauten äußern, sondern zunehmend durch den Aufbau paralleler Infrastrukturen manifestieren, die eine neue ideologische Elite heranbilden und transnational vernetzen. Das Mathias Corvinus Collegium fungiert in diesem Kontext nicht nur als nationales Vorzeigeprojekt, sondern als Modell für eine umfassendere hegemoniale Strategie, in der Bildungsförderung, ideologische Formierung und geopolitischer Einfluss in engem Wechselverhältnis stehen.
Diese Entwicklung weist über das
ungarische Fallbeispiel hinaus: Die gezielte Gründung, Aneignung und
Internationalisierung solcher Bildungsinstitutionen deutet auf ein neues
Stadium autoritärer Wissenspolitik hin – eines, das sich nicht mehr nur defensiv
gegen kritische Wissenschaft richtet, sondern aktiv alternative intellektuelle
Ordnungen etabliert.
[i] https://v-dem.net/our-work/research-programs/academic-freedom/; https://academic-freedom-index.net/
[ii] Gramsci, A. (1971) Selections from the Prison Notebooks, https://www.google.com/url?sa=t&source=web&rct=j&opi=89978449&url=https://ia600506.us.archive.org/19/items/AntonioGramsciSelectionsFromThePrisonNotebooks/Antonio-Gramsci-Selections-from-the-Prison-Notebooks.pdf
[iii] https://www.derstandard.de/consent/tcf/story/2000115342170/ungarns-forschung-unter-druck-ein-umbau-mit-folgen (
[iv] https://english.atlatszo.hu/2023/04/25/higher-education-colonised-into-public-trust-foundations-this-is-how-fidesz-reforms-have-let-down-thousands-of-students/
[v] https://www.insidehighered.com/news/2018/12/04/central-european-university-forced-out-hungary-moving-vienna
[vi] https://www.zeit.de/2022/53/viktor-orban-politik-ungarn-budapest;
[vii] https://vsquare.org/heritage-foundation-mcc-ordo-iuris-russia-european-union-european-court-of-justice/
[viii] https://www.derstandard.at/story/3000000224903/keine-regenbogenfahne-an-der-modul-uni-mitarbeitende-wehren-sich-gegen-orbans-einfluss;
[ix] Etwa hier: https://www.derstandard.at/story/3000000224903/keine-regenbogenfahne-an-der-modul-uni-mitarbeitende-wehren-sich-gegen-orbans-einfluss;
[x] https://www.derstandard.at/story/3000000230299/viktor-orbans-tuerkise-connections-und-eine-privatuni-in-wien
[xi] https://gppi.net/2024/06/24/orbans-willing-partner
[xii] https://444.hu/2021/04/16/a-kinai-kommunista-part-huseges-kaderkepzoje-tart-budapestre-vagy-egy-nyugatos-elitegyetem
[xiii] https://www.direkt36.hu/en/kinai-hitelbol-keszul-a-magyar-felsooktatas-oriasberuhazasa-a-kormany-mar-oda-is-igerte-egy-kinai-cegnek/
[xiv] https://eduline.hu/felsooktatas/20210420_Fudan_Egyetem_osszefoglalo
[xv] https://hvg.hu/itthon/20250227_A-Fudan-Alapitvany-halott-a-kinai-egyetemi-projekt-nem-teljesen-ebx