Die tschechische Piratenpartei auf dem Höhenflug

Die tschechische Piratenpartei auf dem Höhenflug

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Anfang Oktober fanden in der Tschechischen Republik Kommunalwahlen statt, seit 1990 bereits zum achten Mal. Wie so oft galten derartige Wahlen als Beliebtheitstest für die Regierungsparteien, die ANO und die sozialdemokratische ČSSD, die beide keine guten Ergebnisse erzielen konnten. In vielen Städten und Gemeinden ließen die Wahlen die Partei des Premierministers Andrej Babiš (ANO) ihre Grenzen spüren, und die ČSSD, ihr kleinerer Koalitionspartner, musste oft um den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde kämpfen. Andererseits zeigte sich die steigende Unterstützung der Opposition, beispielsweise für die konservative ODS und der liberalen Piratenpartei.

Die tschechische Piratenpartei

Die Piratenpartei, eine politische Partei, die es vor zehn Jahren in Tschechien noch nicht gab, holte 2013 bei den Abgeordnetenhauswahlen 2,66 % der Stimmen. Bei den nächsten Wahlen vier Jahre später stimmten bereits mehr als eine halbe Million Wahlberechtigte für sie (10,79 %), was die Partei (trotz der Kooperationsangebote von der regierenden ANO) zur zweitstärksten Oppositionspartei des Landes machte. Die größte Unterstützung erfuhren die Piraten in den Großstädten wie Prag und Brünn. Seither etablierte sich die Piratenpartei zum respektierten Mitglied der tschechischen Politik und gerade die letzten Kommunalwahlen stellten für sie eine entscheidende Herausforderung dar, da sie beispielsweise in Brünn nun erstmals allein und ohne das Parteibündnis „Žít Brno“ antraten.

Ivan Bartoš, Parteivorsitzender der Tschechischen Piratenpartei (Česká pirátská strana)

In den tschechischen Kommunalwahlen sind mehr als 48.000 gewählte Positionen in mehr als 6000 Städten und Gemeinden zu besetzen. Dabei sind vor allem die OberbürgermeisterInnenämter in Prag und den 13 Regionalhauptstädten besonders wichtig. Bevor auf die Ergebnisse der aktuellen Kommunalwahlen eingegangen wird, soll nachfolgend das politische Profil der Piratenpartei kurz in einigen Punkten charakterisiert werden:

  • Sie ist eine moderne liberale Partei, die postmaterielle Werte verteidigt, gegen Korruption kämpft und ein hohes Maß an innerparteilicher Demokratie durchsetzt.
  • Ihre politischen Schwerpunkte sind politische Transparenz, persönliche Verantwortung der PolitikerInnen, e-Government, Unterstützung der klein- und mittelständischen Unternehmen. Sie will gegen Steuerhinterziehung und den Kapitalabfluss aus Tschechien durch ausländische Firmen vorgehen.
  • Einen wichtigen Punkt stellen die Finanzierung der regionalen Entwicklung, sowie die Teilnahme der Öffentlichkeit am demokratischen Entscheidungsprozess dar. Das zeigten sie bei ihrer Arbeit im Brünner Rathaus, wo sie sich für einen partizipativen Haushalt einsetzten. Bei diesem sogenannten Bürgerhaushalt können die BürgerInnen abstimmen, für welche Aktivitäten frei verwendbare Haushaltsmittel eingesetzt werden sollen.
  • Als ihr Kommunikationsmedium mit der Wählerschaft und den Parteimitgliedern dient in erster Linie das Internet, dabei werden nicht nur Facebook bzw. Twitter genutzt, sondern auch andere Instrumente wie einem Partei-Blog. Im Internet wird auch die Mitgliederliste und Beiträge der Mitglieder zu den Diskussionsforen der Partei veröffentlicht, auf deren persönliche Webseiten verwiesen.
  • Die Piraten unterstützen die EU- und NATO-Mitgliedschaft, zögern jedoch nicht Kritik zu üben vor allem an den NATO-Einsätzen außerhalb der Mitgliedsländer.
  • Sie haben sich an den Kundgebungen gegen das internationale ACTA-Abkommen prominent beteiligt. Generell treten sie für eine minimale (Null-) Regulierung des Internet ein.
  • Von zentraler Bedeutung ist für die Partei ein Gesetz über den freien Informationszugriff, das in Tschechien seit 1999 gilt. Seine Einschränkungen halten sie für inakzeptabel. Gleiches gilt auch für jede Überwachung des Internets oder von mobiler Kommunikation.
  • In den Jahren 2010 – 2013 sprach sich die Piratenpartei offen für eine Liberalisierung von Cannabis aus und forderte eine Neubewertung der gültigen Rechtslage zum Besitz von Betäubungsmitteln.

Der Erfolg der Piraten bei den Kommunalwahlen

Die Piraten starteten also als klar profilierte Oppositionspartei in den Kommunalwahlkampf ein. Vor allem in Prag, wo ihre Ergebnisse in den letzten Parlamentswahlen überdurchschnittlich gewesen waren, strotzte die Partei vor Selbstbewusstsein. So beantwortete der Prager Parteivorsitzende Zdeněk Hřib im Rahmen einer Vorwahldebatte die Frage, gegenüber welchen Koalitionspartnern er verhandlungsbereit wäre, mit den Worten, die Piraten würden in erster Linie siegen und erst dann die Koalitionspartner abklären, soweit solche überhaupt notwendig seien. Auch die Umfragen deuteten an, dass die Partei in Prag erfolgreich sein würde. Das Ergebnis zeigte, dass das nicht nur unbegründete Hoffnungen waren. Die Piraten wurden mit 17 % Stimmen und 13 Mandaten zweitstärkste Partei. Dies bedeutet einen historischen Erfolg für die Partei, da in der Hauptstadt mehrere Protestparteien angetreten waren. Die Piraten blieben hinter der siegreichen ODS, die 17,86 % erreichte, nicht einmal um ein Prozent zurück. Daraufhin entschieden sich die Piraten für Koalitionsgespräche mit zwei anderen Gruppierungen, einerseits der konservativ-liberalen Parteienkoalition von „TOP 09“, STAN und KDU-ČSL, die vom ehemaligen Justizminister und früheren ODS-Politiker Jiří Pospíšil geführt wird, andererseits mit dem lokalen Bündnis „Praha Sobě“ [Prag für sich selbst] unter der Leitung des parteilosen Kommunalpolitikers Jan Čižínský, der früher der Partei KDU- ČSL angehörte. Diese drei Gruppierungen gewannen jeweils 13 Mandate und werden unter den 65 Stadträten die bequeme Mehrheit von 39 Stimmen haben. Zum Oberbürgermeister wurde im Einverständnis der drei Bündnisse der Vorsitzende der Piraten Zdeněk Hřib gewählt. Daneben nehmen die Piraten auch an der Kommunalregierung von Brünn, zusammen mit KDU-ČSL, ČSSD und ODS, teil.

Ergebnis der Kommunalwahl in Prag (2014 und 2018)

Partei 2014 2018
% Mandate % Mandate
STAN, TOP09. KDU-ČSL 11,21 8 16,29 13
Piratenpartei 5,31 4 17,07 13
Praha Sobě 16,57 13
ODS 10,97 8 17,87 14
ANO 22,08 17 15,36 12
ČSSD 10,43 8 2,87 0
KSČM 5,91 4 3,26 0
TOP09 20,07 16
Wahlbeteiligung 37,72 46,44

Quelle: www.volby.cz

Ergebnis der Kommunalwahl in Brünn (2014 und 2018)

Partei 2014 2018
% Mandate % Mandate
ČSSD 17,67 11 6,28 5
ANO 19,93 13 23,02 18
ODS s podporou Svobodných 7,62 5 18,55 14
Piratenpartei 8,74 6
SPD 5,07 4
KDU-ČSL 11,83 7 10,25 8
TOP09 6,57 4 3,41 0
Grünen 7,38 4 4,52 0
KSČM 6,73 4 4,13 0
Žít Brno (mit Piratenpartei 2014) 11,89 7 4,09 0
Wahlbeteiligung 38,69 42,65

Quelle: www.volby.cz

Die Wählerschaft der Piratenpartei

Und wer sind die WählerInnen dieser in der tschechischen politischen Landschaft vergleichsweise neuen Partei? Bei der Beantwortung dieser Frage kann man sich auf eine Umfrage stützen, die zur Wahlzeit in Brünn, der zweitgrößten Stadt Tschechiens, durchgeführt wurde. Danach ist ein typische/r Piraten-WählerIn:

  • Ein/e langfristig entschlosseneR ParteianhängerIn. Fast 50 % ihrer WählerInnen in den Kommunalwahlen stimmten schon in den Parlamentswahlen 2017 für sie und hatten sich schon längere Zeit davor dazu entschieden, weitere ungefähr 25 % entschlossen sich während der Wahlkampagne und die restlichen 25 % erst in den letzten Stunden vor der Stimmenabgabe.
  • Die Hälfte der WählerInnen hat einen Hochschulabschluss, weitere 40 % entweder Matura oder einen Fachhochschulabschluss.
  • Es überwiegen Angestellte und UnternehmerInnen (beide Gruppen zusammen machen 60 % der WählerInnenschaft aus).
  • Eine eher jüngere Wählerschaft (unter 30 Jahren), und zwar in höherem Maße als bei jeder anderen Partei; von SeniorInnen wurde die Partei hingegen in geringerem Maße gewählt.
  • Für sie stimmten ungefähr gleichviel Männer wie Frauen.

Die Gründe für den Erfolg

Wie konnte eine relativ neue Partei einen solchen Durchbruch schaffen und solche Unterstützung gewinnen? Zumal die Piratenparteien in anderen Ländern kaum mehr Bedeutung haben. Zweifellos gibt es mehrere Antworten, für Ergebnisse der Parlaments- wie Kommunalwahlen in den Großstädten wie Prag und Brünn fallen sie allerdings ähnlich aus. Die Kommunalwahlen haben den Charakter der sogenannten „zweitrangigen Wahlen.“ Im Allgemeinen haben es die Regierungsparteien bei Kommunalwahlen besonders schwer, da die Wahlen als Beliebtheitstest für die Arbeit auf nationaler Ebene angesehen werden. Für Oppositionsparteien ist es generell leichter an Unterstützung gewinnen. Neben dem bei jungen Menschen besonders beliebten Parteivorsitzenden, dürfte das einer der Hauptgründe des guten Abschneidens der Piraten in diesen beiden Städten sein. Landesweit haben sich die Piraten im letzten Jahr zudem als eine markante Oppositionspartei erwiesen, die sich nicht davor scheut, den Premierminister Andrej Babiš offen zu kritisieren. Sie weisen auf die Ermittlungen im Fall des angeblichen Missbrauchs von EU-Förderungen für seine privaten Unternehmungen hin, leisten ihm keine Unterstützung in einer ganzen Reihe anderer Fälle, wie beispielsweise bezüglich den Vorwürfen des Missbrauchs der eigenen Medien oder dem Erhalten von staatlichen Förderungen für frühere Firmen, und behalten sich auch ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Präsidenten Miloš Zeman vor. Das Grundverhalten der Piratenpartei lässt sich in der Losung zusammenfassen: „Unter keinen Umständen werden wir eine Regierung unterstützen, in der es Kräfte gibt, die die Grundlagen der liberalen Demokratie bedrohen oder das historische Erbe einer Liquidation der Demokratie in unserem Land verkörpern, d.h. besonders eine unter Teilnahme der KSČM, SPD (dt.: „Partei der direkten Demokratie“, eine extreme rechtspopulistische Partei – die Autoren) oder mit dem Übergewicht von ANO“ (Piraten 2017). Und gerade in den großen Städten wie Prag und Brünn konnten in den letzten 25 Jahren die Parteien der aktuellen Regierungskoalition (ANO und ČSSD mit Unterstützung von KSČM) bzw. der Präsident Zeman noch nie die Unterstützung einer Mehrheit der WählerInnenschaft gewinnen. Daher gelang es hier den Piraten, „ihre städtischen Liberalen“ anzusprechen und genug Stimmen zu holen, um schließlich den Posten des Oberbürgermeisters in Prag besetzen zu können bzw. in die regierende Koalition im Brünner Stadtrat zu gelangen.

 

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