Pandemierebellen: Wovon zeugt die jüngste parlamentarische Niederlage der tschechischen Regierung?

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Das Abgeordnetenhaus in Prag hat es am 11. Februar abgelehnt, die Notstandsmaßnahmen wie von der Regierung beantragt um weitere vier Wochen zu verlängern. Die Regierung hat eine krachende Niederlage erlitten. Im Ergebnis werden Maßnahmen, wie die Möglichkeit, das Versammlungsrecht einzuschränken, enden ebenso wie die landesweite Ausgangssperre ab 21 Uhr oder die Absperrung einzelner Kreise wegen hoher Infektionszahlen bald auslaufen. Wie lässt sich diese Entscheidung interpretieren: Ist das ein Sieg der parlamentarischen Demokratie über ein bloßes Durchregieren oder eine Katastrophe für das Land, weil so weniger gegen die hohen Infektionszahlen gemacht werden kann?

Tschechien von Pandemie stark betroffen

Tschechien ist ein Land mit einer besonders dramatisch verlaufenden zweiten Welle der Pandemie. Im Frühjahr letzten Jahres sah es noch besonders gut aus, die 7-Tages-Inzidenz lag unter 20 Fällen pro Hunderttausend Einwohnern. Ende Oktober lag die entsprechende Fallzahl dann bei fast 800, in einigen Ortschaften bei über 1000 Fällen in den letzten 7 Tagen pro Hunderttausend EinwohnerInnen. Insgesamt sind knapp 18 Tausend Menschen an oder mit Corona verstorben. Das war auch die Grundlage dafür, dass man die steigenden Fallzahlen in den angrenzenden bayrischen und sächsischen Grenzkreisen auf tschechische Ansteckungen zurückführte: weil man in Tschechien nun die Geschäfte geschlossen hatte, fuhren die Tschechen nach Sachsen und Bayern und kauften ein. Dies ist möglicherweise eine faktisch-richtige Darstellung, allerdings ist der Verweis auf die von außen kommende Gefahr auch nur die halbe Wahrheit. Sie lässt nämlich die wichtigere Frage außer Acht, warum sich die gleichermaßen EU-Mitglieder Deutschland und Tschechien in ihrer Pandemiebekämpfung nicht besser abgestimmt haben.

Niederlage für die Regierung im Parlament

Politisch gesehen steht hinter der Ablehnung des Regierungsantrags im Abgeordnetenhaus natürlich mehr als nur eine Verstimmung über die Gesundheitspolitik der Regierung. In Tschechien regiert seit den letzten Parlamentswahlen 2017 eine Minderheitsregierung aus ANO und Sozialdemokraten, die von der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens toleriert wird. In jener Abstimmung haben die Kommunisten, wie im Übrigen auch angekündigt, ihre Politik geändert. Dadurch konnte die Opposition, die generell aus dem traditionellen bürgerlichen Lager (der ODS, TOP 09 und KDU- ČSL) besteht, sowie den linksliberalen Piraten und der rechtspopulistischen SPD (übersetzt: „Freiheit und direkte Demokratie“) von Tomu Okamura, sich durchsetzen.

Am allgemeinen politischen Kräfteverhältnis hat sich allerdings wenig geändert: In den aktuellen Meinungsumfragen Anfang Februar steht die Regierungskoalition gegenwärtig bei ca. einem guten Drittel der Stimmen, nur vier Prozent schlechter als bei der letzten Wahl. Deutlich verloren hat TOP 09, die ursprünglich von der ODS abgespaltene Partei, welche Karel Schwarzenberg mitgegründet hatte. Dafür hat sich eine neue, wirtschaftsliberale Parteienkoalition gebildet, die aus ODS, KDU-ČSL und TOP 09 gebildet hat. Sie trägt den Namen SPOLU (eine Abkürzung aus: „Wir gehen darauf gemeinsam ein“), wobei sie allerdings weniger Anhang hat als die drei Parteien bei der letzten Wahl. Im Aufwind ist die Piratenpartei, gegenwärtig steht sie bei ca. 14 Prozent, welche besonders in Prag und Brno einflussreich ist.

Parteipolitisch heißt das, die seit 2011 existierende Partei ANO ist immer noch deutlich stärkste Partei und die politische Landschaft in Tschechien ist weiter im Fluss. Die in den 1990 Jahren und bis 2010 dominierenden traditionellen Mitte-Parteien Bürgerdemokraten (ODS) und Sozialdemokratie (CSSD) haben ihre Stellung nicht wieder festigen können. Auch die lange stabilen Kommunisten sind deutlich geschrumpft. Sie stehen jetzt bei sechs Prozent. 2013 hatten sie noch eine mehr als doppelt so große Unterstützung. Wie genau sich die Lage bei den nächsten Parlamentswahlen im Herbst 2021 darstellen wird, ist heute noch nicht absehbar. Aber es ist jedenfalls zu früh, ein Ende des Aufstiegs der Populisten in diesem wichtigen mitteleuropäischen Land zu verkünden.

Wie geht es in Tschechien weiter?

Bezogen auf die gesundheitliche Situation der Bevölkerung ist die Entscheidung des Parlaments sicher keine gute Nachricht. Die Ansteckungszahlen sind immer noch deutlich höher als in den Nachbarländern: Die 7-Tages-Inzidenz liegt immer noch bei knapp 500, etwa doppelt so hoch wie in der Slowakei und fünfmal höher als in Polen. Außerdem breitet sich die ansteckendere Virusmutation B117 im Land weiter aus. Die bisherigen Maßnahmen greifen schlecht und jetzt werden sie auch noch durch den Parlamentsbeschluss teilweise beendet. Ministerpräsident Babiš appelliert nun an die Kreishauptleute, sie sollten in ihren Gebieten für eine Fortsetzung der Einschränkungen sorgen.

Inzwischen haben diese die Regierung aufgefordert, die Notstandsmaßnahmen landesweit weitere zwei Wochen fortzuführen. Damit ist sowohl vorerst die Auswirkung der Niederlage der Regierung im Parlament auf die Gesundheitslage im Land abgewendet worden, als auch die Opposition im gewissen Maße in die politische Verantwortung genommen worden. Babiš selbst erkundet inzwischen in Serbien die Erfahrungen mit chinesischen oder russischen Impfstoffen, um als ein Politiker dazustehen, der pragmatisch flexibel an die Probleme herangeht.

Die Nachricht aus Prag über den Sieg der Opposition im Parlament ist also beides: ein Zeichen dafür, dass auch das Parlament noch seine eigene Stimme erhebt, was gut für die Demokratie ist, die ein lebendiges Parlament benötigt, aber sie ist auch ein Beleg dafür, dass es zukünftig in unserem Nachbarland nicht leichter werden wird, die Pandemie erfolgreich zu bekämpfen. In einem Europa offener Grenzen berührt uns diese Situation zumindest indirekt.

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