Putin im ungarischen Wahlkampf

Putin im ungarischen Wahlkampf

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In einem prachtvollen Gebäude der ungarischen Hauptstadt, dem Kettenbrückenpalast am Budapester Donauufer, hat die Internationale Investment Bank (IIB) ihr Hauptquartier.[i] Die Investitionsbank wurde 1970 für die Zwecke des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) gegründet. Während sie nach dem Zerfall der UdSSR an Bedeutung verlor, hat sie Wladimir Putin 2012 wieder reaktiviert. Ungarn, das 2015 wieder beigetreten ist, gehört heute nach Russland zum zweitgrößten Anteilseigner. Bulgarien, die Slowakei, Rumänien und Tschechien haben bereits als Reaktion des russischen Angriffskriegs ihre Beteiligungen zurückgelegt. Übrig bleiben neben Russland und Ungarn nur noch die Länder Mongolei, Vietnam und Kuba mit jeweils geringen Anteilen.

Dem ungarischen Oppositionsbündnis „Vereint für Ungarn“ mit Péter Márki-Zay an ihrer Spitze ist die Bank ein Dorn im Auge. Ministerpräsident Viktor Orbán wurde mehrmals aufgefordert, sich aus der IIB zurückzuziehen. Die IIB unterliegt aufgrund ihrer UN-Registrierung nicht den derzeitigen Sanktionen. Durch ihren Sonderstatus sehen KritikerInnen in der russischen Bank ein trojanisches Pferd und einen Umschlagplatz für den russischen Geheimdienst in dem EU-Mitgliedsstaat. [ii] Die IIB wies diese Kritik stets zurück. Der als regierungsfreundlich bekannten englischsprachigen Medienplattform Hungary Today zufolge, verfügen sämtliche MitarbeiterInnen sowie Gäste der Bank diplomatische Immunität in Ungarn und damit auch innerhalb anderer EU-Staaten.[1] Dem strategischen Ziel der Regierung Orbán, Ungarn als internationalen Finanzstandort zu etablieren, stehen damit die nationalen Sicherheitsbedenken[iii] der Opposition gegenüber.

Wirtschaftlich eng verflochten

Die Außenpolitik Orbáns ist stark von den wirtschaftlichen Verflechtungen mit Russland geprägt. Die seit 2010 forcierte Ostöffnung ist Teil seiner sogenannten „unorthodoxen Außenpolitik“ und schließt neben Russland auch China, Länder Zentralasiens und die Türkei mit ein. Unter Orbán sind die wirtschaftlichen und politischen Kontakte zu Russland verstärkt worden. Ziel des „ungarischen Modells“, so Orbán, sei es, Mitglied in der EU und in der NATO zu sein und gleichzeitig enge Kooperationen mit Russland zu pflegen.[iv] Ungarns Position als ressourcenarmes Binnenland bringt das Land in starke Abhängigkeit vom russischen Gas. Bei dem umstrittenen Treffen zwischen Putin und Orbán am 1. Februar, während im Rest Europas über einen bevorstehenden Angriff Russlands spekuliert wurde, bat der ungarische Ministerpräsident den russischen Präsidenten um eine Erhöhung der Gaslieferungen.[v]

Im Energiebereich flossen aber auch günstige Kredite in den Ausbau des Kernkraftwerks Paks an der Donau. Die Atomenergie-Diplomatie Russlands wird in Ländern wie Ungarn und Finnland als ein Instrument der soft power gesehen. Etwa die Hälfte des ungarischen Energiebedarfs wird aus Atomenergie gedeckt. Paks wird vom staatlichen MVM (Magyar Villamos Művek) betrieben.  2009 beschloss das ungarische Parlament, zwei neue Einheiten zu bauen, Paks-2 wurde 2012 zur Priorität erklärt. Mit Orbáns langjähriger Regierungszeit hat sich auch die Position russischer Akteure am ungarischen Energiesektor konsolidiert. [vi] Ungarn hat bis 2044 Zeit, Kredite über 10 Milliarden Euro an die russische Staatsbank Vnesheconombank zurückzuzahlen. Während Ungarn ursprünglich zwei Milliarden aus eigener Tasche hätte zusteuern sollen, sagte Putin 2017 zu, nun doch die gesamten Kosten für Paks-2 zu übernehmen.

Mit dem Krieg in der Ukraine gerät nicht nur Ungarns außenpolitische Annäherungen an autokratische Regime ins Wanken, sondern auch eine zentrale Säule der Legitimität der Fidesz-Partei: niedrige Energiepreise. Die Reduktion der rezsicsökkentés, also der Gemeinkosten wie Mieten und Heizen, bildeten zentrale Versprechen des Wahlkampfes 2014 und stellen bis heute eine wichtige Grundlage des Erfolgs von Orbán dar. Anfang März reagierte die Regierung auf die steigenden Energiepreise mit Obergrenzen auf Kraftstoffpreise und Steuerentlastungen per Dekret.[vii] Zugleich ersuchte Orbán in einem Brief die EU-Kommission, ein zinsgünstiges Darlehen unter gelockerten Kriterien für die Auswirkungen des Krieges in Ungarn bereitzustellen.[viii]

Zwar hat Ungarns Wirtschaft zuletzt die Corona-bedingte Rezession relativ gut überstanden. Die Folgen des Krieges bringen diese Erholung jedoch ins Stocken: Preissteigerungen im Energiesektor, Schwächen der Währung sowie generelle Energie-, Rohstoff- und Nahrungsmittelknappheit könnten Ungarns Wirtschaft in Bedrängnis bringen.[ix] Der ungarische Forint erreichte Anfang März ein historisches Tief. Zuletzt hat sich die Währung auf einem niedrigen Niveau – zwischen 370 und 375 Forint pro Euro – stabilisiert. AnalystInnen prognostizieren allerdings eine weitere Abwärtsbewegung.[x]

Verunsicherte Wählerschaft

In den letzten Tagen vor der Wahl spitzt die Opposition den Wahlkampf auf eine zentrale Frage zu: Orientiert sich Ungarn in Zukunft Richtung Westen oder Osten? Die Regierungsposition lautet, dass der Ukraine-Krieg nicht „unser Krieg“ sei. Orbán betont Ungarns Bedürfnis nach Frieden und nationaler Unabhängigkeit und warnt vor einer möglichen militärischen Beteiligung unter einem Ministerpräsidenten Márki-Zay. Obwohl sich Ungarn davor für Sanktionen ausgesprochen hatte, seien „Brüssels Sanktionen“ Schuld am historischen Tief der nationalen Währung. Orbán lehnt Waffenlieferungen über Ungarn an die Ukraine strikt ab. Zugleich verbreiten regierungsnahe Medien Kreml-Propaganda und Desinformation, wie der Medienmonitor Mérték berichtet.[xi] Die staatliche Nachrichtenagentur (MIT) selbst hatte in den ersten Meldungen zur russischen Invasion von einer „Militäroperation“ gesprochen. Erst nach heftiger Kritik begann die Agentur von einem Krieg zu berichten.[xii]

Zurück bleibt eine verunsicherte Wählerschaft. Die Mehrheit der Ungarn lehnen den Krieg in der Ukraine ab, wollen aber keine militärische Intervention seitens Ungarns.[xiii] Wie Interviews des internationalen Nachrichtenportals Radio Free Europe zeigen, ist das konservative Lager gespalten.[xiv] Ein Grund dafür ist auch die Sorge um die Sicherheit der ungarischen Minderheit in der Ukraine. Umfragen des Republikon-Instituts zeigen bei der Frage, ob sich Ungarn eher nach Osten oder nach Westen ausrichten sollte, eine traditionell ideologische Spaltung. Die Widersprüche der ungarischen Russlandpolitik führen aber auch innerhalb der Fidesz-Wählerschaft zu Verwirrung. Eine klare Mehrheit der Befragten sehen Ungarns Verbündete im Westen. Fast zwei Drittel sprachen sich auch für humanitäre Nachbarschaftshilfe für die Ukraine aus.[xv]

Klar ist, dass das Bedürfnis der Ungarn nach Sicherheit und nationale Selbstbestimmung wichtige Faktoren in der Wahl ausmachen. Gelingt es Orbán, sich mit Unterstützung der einverleibten Medienlandschaft weiterhin als Garant des Friedens und Wohlstandes zu präsentieren, werden seiner WählerInnen über die bestehenden Widersprüche hinwegsehen. Zuletzt durch die Pandemie lauter werdende Kritik am maroden Gesundheitssystem werden von den Sorgen um eine Eskalation an der Grenze zur Ukraine überschattet. Angesichts der Gefahren könnten manche Unzufriedene nun doch nicht das Risiko eingehen, einem politischen Quereinsteigers wie Márki-Zay zu vertrauen. Wie sich der Krieg und Orbáns Russland-Politik letztlich auf die Entscheidungen der ungarischen Wähler auswirken wird, lässt sich dennoch schwer prognostizieren.

In aktuellen Umfragen zeigt sich ein enges Rennen mit Fidesz an der Spitze. Aktuell stehen die Zeichen für einen erneuten Sieg der regierenden Koalition.[xvi] Putins indirekter Einfluss auf die ungarische Innenpolitik könnte aber in den letzten Minuten vor der Wahl doch noch zum entscheidenden Gewicht in der Waagschale werden. Und selbst, wenn der Machtwechsel nicht gelingen sollte, könnten die im Wahlkampf aufgezeigten Widersprüche ausreichend Mobilisationspotential für eine großflächige Protestbewegungen liefern.

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Der Artikel ist Teil einer Kooperation des Eastblog mit dem IDM – Institut für den Donauraum und Mitteleuropa, http://www.idm.at/ 

Bildquelle: https://www.flickr.com / Fotograph: manhhai / licence: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/ / No changes made

[1] https://hungarytoday.hu/opposition-demands-hungary-leave-russian-spy-bank-iib-after-czechia-and-romania/


[i] https://hvg.hu/gazdasag/20200325_Az_orosz_hatteru_beruhazasi_banke_lett_Europa_legpatinasabb_irodahaza_Budapesten?s=hkutm_source=hirkereso_es_kapu&utm_medium=portfolio_linkek&utm_campaign=hiraggregator

[ii] https://hvg.hu/gazdasag/20200325_Az_orosz_hatteru_beruhazasi_banke_lett_Europa_legpatinasabb_irodahaza_Budapesten?s=hkutm_source=hirkereso_es_kapu&utm_medium=portfolio_linkek&utm_campaign=hiraggregator

[iii] https://euobserver.com/opinion/154459

[iv] https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/macht-der-besuch-bei-putin-orban-in-ungarn-populaer-17780737.html

[v] https://www.rferl.org/a/hungary-orban-putin-russia-gas/31681502.html

[vi] https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/15387216.2017.1396905

[vii] https://tenyek.hu/cikkek/gulyas-gergely-a-kormany-kitart-a-benzinarstop-mellett

[viii] https://444.hu/2022/03/22/a-kormany-megerositette-hogy-orban-megis-keri-az-unios-hitelt

[ix] https://qubit.hu/2022/03/18/a-kozep-kelet-europai-allamok-csunyan-porul-jarhatnak-az-oroszorszag-elleni-szankciok-miatt?utm_source=related&utm_medium=qubit.hu&utm_campaign=widget-3199347

[x] https://www.nasdaq.com/articles/cee-markets-forint-steady-hungarian-bond-yields-rise-ahead-of-expected-rate-hike

[xi] https://mertek.atlatszo.hu/the-hungarian-government-media-disseminates-kremlin-propaganda/

[xii] https://www.theguardian.com/world/2022/mar/17/orban-treads-fine-line-as-hungarian-opinion-swings-against-russia

[xiii] https://hungarytoday.hu/hungarians-ukraine-foreign-aid/

[xiv] https://www.rferl.org/a/hungary-elections-orban-voters-vox-pop/31756010.html

[xv] http://republikon.hu/elemzesek,-kutatasok/22-03-23-kvk-marcius.aspx

[xvi] https://www.politico.eu/europe-poll-of-polls/hungary/

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