Slowakei vor den Wahlen: Ende der Unterstützung für die Ukraine?
Man kann sich kaum eine schwierigere Zeit zum Regieren vorstellen als die, die der ehemalige slowakische Ministerpräsident Igor Matovič erlebt hat. Die Covid-19-Pandemie, der Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Migrations-, Inflations- und Energiekrise haben maßgeblich zum Sturz seiner nach der Parlamentswahl 2020 gebildeten Regierungskoalition beigetragen.
Die Hauptursache für Instabilität und den eventuellen Zusammenbruch der Regierung waren jedoch nicht nur all diese Krisen, sondern auch eine Reihe an persönlichen Feindseligkeiten zwischen den Spitzen der Koalitionsparteien. Das Misstrauensvotum und der schrittweise Austritt der Koalitionspartner und ihrer Minister gipfelten schließlich in der Einsetzung einer Expertenregierung im Juni dieses Jahres. Diese soll das Land bis zu den für den 30. September geplanten vorgezogenen Wahlen führen.
Vier aktuelle Oppositionsparteien versprechen nach drei Jahren der innenpolitischen und zwischenparteilichen Konflikte eine stabile Regierung. Aktuellen Prognosen zufolge glauben die Slowakinnen und Slowaken an dieses Versprechen, wenn alle früheren Regierungsparteien gegenwärtig nur mit Mühe die Wahlhürde von fünf Prozent überspringen würden. Die höchste Popularität (20 Prozent laut Wahlumfragen im Juli) genießt derzeit der ehemalige langjährige Ministerpräsident und Vorsitzende der linksnationalistischen Partei SMER-SSD Robert Fico, dessen Partei Erfahrung und Ordnung verspricht und sich insbesondere gegen die liberal-progressive, von Michal Šimečka geführte Partei “Progressive Slowakei” richtet, die nach den aktuellen Wahlumfragen auf dem zweiten Platz mit ungefähr 16 Prozent landen könnte.
Politische Abtrünnige auf dem Vormarsch
Dahinter stehen auf dem dritten Platz (mit elf Prozent) zurzeit Abtrünnige der SMER-SSD-Partei, die sich seit 2020 unter der Führung von Ficos Nachfolger als Premierminister (2018 bis 2020) Petr Pellegrini in der Partei HLAS – Sozialdemokratie (HLAS-SD) organisieren. Obwohl die Parteimitglieder als Reaktion auf die verlorenen Wahlen vor drei Jahren versuchten, sich gegen die korrupte und mit Mafia-Praktiken verbundene SMER-Partei zu distanzieren, sind sie in den Augen vieler Slowakinnen und Slowaken immer noch für den Niedergang der Rechtsstaatlichkeit und die Erosion demokratischer Institutionen aus den Jahren der SMER-Regierung mitverantwortlich.
Seit 2021 sind zudem ehemalige Mitglieder der “Volkspartei Unsere Slowakei” in der Bewegung “Republik” vereint. Nach aktuellen Wahlprognosen kann die nationalkonservative, nationalistische Partei unter der Führung von Milan Uhrík mit rund 10 Prozent rechnen, das heißt Sitze im Parlament – egal ob in der Regierungskoalition oder in der Opposition – sind ihr gesichert. Obwohl die vier Parteichefs auf Mediennachfrage schnell eine Zusammenarbeit mit der einen oder anderen Partei ausgeschlossen haben, sind zum jetzigen Zeitpunkt verschiedene Nachwahlszenarien denkbar. Eines ist aber sicher: die Mehrheiten im neuen Parlament werden maßgeblich davon abhängen, welche kleinen Parteien die Fünf-Prozent-Hürde überschreiten und nach der Wahl somit zum “Königsmacher” werden.
Rückkehr alter Verdächtiger?
Wenn das “bulgarische” Szenario – also die Unmöglichkeit einer Koalitionsbildung und sich mehrmals wiederholende Neuwahlen – nicht eintritt und die siegreichen Parteien zu einer Einigung kommen werden, sind zwei Richtungen der Nachwahlentwicklung zu erwarten. Die künftige Regierung könnte aus einer Koalition der Parteien “HLAS-SD” und “Progressive Slowakei” zusammen mit der Beteiligung kleinerer Parteien “KDH” (Christlich-Demokratische Bewegung), “SaS” (Freiheit und Solidarität) und “Sme rodina” (Wir sind eine Familie) gebildet werden. Ein klarer pro-europäischer und pro-atlantischer außenpolitischer Kurs sowie weitere Bemühungen zur Korruptionsbekämpfung, zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz und zum Aufbau von Vertrauen in staatliche Institutionen werden in solchem Fall für den nächsten Wahlzyklus zu erwarten sein.
Ein weiteres Nachwahl-Szenario sieht in den Augen liberaler Befürworter des EU-Projekts und der transatlantischen Zusammenarbeit möglicherweise nicht so rosig aus. Die diesjährige Wahl könnte die Rückkehr des erfahrenen Premierministers Robert Fico und seiner Partei SMER-SSD bedeuten, die trotz ihrer Bereitschaft, mit ihrer sozialdemokratischen Abspaltungspartei HLAS-SD eine Koalition zu bilden, über ein eher begrenztes Koalitionspotenzial verfügt. Dies könnte Ficos Partei dazu zwingen, sich nicht nur mit der Partei HLAS-SD, sondern auch mit der nationalistischen, von einigen Expert*innen als radikal und extremistisch bezeichneten Partei “Republik” zusammenzuschließen. Durch die Bildung einer Koalition gemeinsam mit der SNS-Partei (Slowakische Nationalpartei) könnten diese vier Parteien sogar eine absolute Mehrheit im Parlament erreichen.
Die Wiederbelebung der SMER-SSD-Partei wird von vielen als eine Rückkehr der mit Korruption und kontroversen politischen Praktiken verbundenen SMER-SSD-Parteimitgliedern angesehen. Nach einer dreijährigen Pause könnte es zum Wiederaufleben einer mafiösen politischen Kultur kommen. Deren Ende war die Hoffnung vieler Demonstrierender bei den durch die Ermordung des investigativen Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová ausgelöste Massenprotesten gegen die Regierung in 2018.
Prowestliche Liberale versus prorussische Konservative
Unzufriedenheit mit der aktuellen slowakischen Innen- sowie Außenpolitik, sich verschlechternde Lebensbedingungen aufgrund der anhaltenden Krisen und des Krieges in der Ukraine sowie die Frustration über die konfliktreiche Regierung der letzten drei Jahre führen breite Teile der slowakischen Bevölkerung zur Unterstützung der Parteien, die einfache – oft populistische und radikale – Lösungen anbieten. Dies erklärt den aktuell hohen Zuspruch der SMER-SSD Partei als Symbol der Korruption sowie der extremistischen, stark nationalistischen Partei “Republik”.
Eine solche Regierungskoalition würde nicht nur der Entwicklung der liberalen Demokratie im Land einen schweren Schlag versetzen. Mit der Beteiligung der Republik-Partei könnte die Slowakei dem ideologischen Weg der ungarischen Fidesz- oder der polnischen PiS-Partei folgen. Genauso wichtig ist jedoch, dass diese Wahlen auch auf regionaler und europäischer Ebene von grundlegender Bedeutung sind. Im Falle von Ficos Wiederantritt als Ministerpräsident, der von der Unterstützung der von Uhrík geführten “Republik-Bewegung” abhängen wird, ist neben einer starken EU-skeptischen und antiwestlichen Außenpolitik insbesondere mit dem Ende der slowakischen militärischen Unterstützung der Ukraine zu rechnen.
Ergänzt würde diese Entwicklung durch die klare Absage an EU-Sanktionen gegen Russland und die Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen zur Russischen Föderation. Beide Parteiführer verbergen ihre Unterstützung für Orbáns Art der Neutralität nicht und gehören inzwischen sogar zu den größten Verbreitern pro-russischer Propaganda im Land, wie Uhríks Reden sowie Ficos Social-Media-Aktivitäten belegen.
Sinkende Unterstützung für die Ukraine?
Diese zunehmenden prorussischen Narrative und Sympathien lassen sich nicht nur in der Slowakei beobachten. Sie sind in fast allen europäischen Ländern zu bemerken, was sich zum Beispiel in der zunehmenden Unterstützung der FPÖ-Partei in Österreich oder der AfD in einigen deutschen Bundesländern zeigt. Obwohl die “Republik-Bewegung” im Gegensatz zur SMER-SDD-Partei die Mitgliedschaft der Slowakei in der EU und der Nato immer wieder in Frage stellt, wird das Land wohl auch nach der Wahl weiterhin fest in den euroatlantischen Strukturen verankert sein.
Eine völlig andere Dynamik könnte nach den Wahlen jedoch die Region Mitteleuropa bekommen, wo die Slowakei mit der Einstellung der militärischen Unterstützung für die Ukraine in die Reihe der sogenannten neutralen Staaten wie Ungarn oder Österreich eintreten könnte. Letztlich würde dies auch eine Neuausrichtung der Kräfte in der derzeit geopolitisch inaktiven Visegrád-Gruppe bedeuten. Dadurch würden zwei Lager entstehen: diejenigen, die die Ukraine aktiv militärisch sowie humanitär unterstützen (Tschechien, Polen), und diejenigen, die sich weigern, dem angegriffenen Staat Waffenlieferungen zu leisten, und gleichzeitig gute Beziehungen zu Moskau pflegen wollen (Ungarn, Slowakei). Eine solche Entwicklung würde zu einer noch größeren Dysfunktionalität dieses einst wichtigen mitteleuropäischen Kooperationsformats beitragen.