Rückzug aus Russland. Warum sollten sie? Westliche Unternehmen in der Zwickmühle politischer Risiken.

Rückzug aus Russland. Warum sollten sie? Westliche Unternehmen in der Zwickmühle politischer Risiken.

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Russland setzt seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine unvermindert fort. Seit nunmehr über 900 Tagen verteidigt sich die Ukraine in einem Abnützungskrieg, für den derzeit kein unmittelbares Ende absehbar ist.

Die Ukraine führt ihren Kampf an unterschiedlichen Fronten. Militärisch, diplomatisch, aber auch an der ökonomischen Front. Nach Raketen- und Drohnenangriffen recherchieren und dokumentieren Expertinnen und Forensiker penibel, aus welchen Komponenten die russischen Waffen bestehen. Insbesondere im Fokus stehen Hochtechnologieprodukte westlichen Ursprungs, um die lückenhaften Sanktionen aufzuzeigen. Erst durch den nach wie vor bestehenden Zugang zu westlicher Technologie kann der Angriffskrieg Russlands fortgesetzt werden. Ein weiterer Dorn im Auge der ukrainischen Behörden und NGOs sind -neben den Öl- und Gaseinkommen internationaler Abnehmer – internationale Unternehmen, die weiterhin in Russland aktiv sind. Durch deren Steuerleistungen an den russischen Staat, so das Argument, versetzen sie Russland weiterhin in die Lage, den Krieg fortzuführen.

Eine empirische Analyse der Unternehmensdaten der Kyiv School of Economics zeigt tatsächlich ein ernüchterndes Bild. Von den insgesamt 3945 erfassten internationalen Firmen, die 2022 in Russland tätig waren, haben bis September diesen Jahres 423 Unternehmen einen Exit aus Russland abgeschlossen. Das entspricht knapp 11% aller in der Datenbank erfassten Unternehmen. Gerade deshalb stellt sich die Frage, warum immer noch mehr als 3500 Unternehmen in Russland präsent sind?

Ein lukrativer Markt

Überraschend schnell haben die USA und die EU mit Wirtschaftssanktionen gegen Russland auf den Angriff der Ukraine im Februar 2024 reagiert. Seither hat alleine die EU 14 Sanktionspakete verabschiedet, und auch die USA verschärfen stetig ihre Sanktionsbestimmungen gegenüber dem Aggressor mit dem Ziel, den militärisch-industriellen Komplex Russlands und die ökonomischen Grundlagen für die Kriegsführung zu schwächen. Russland ist inzwischen das am meisten sanktionierte Land weltweit, noch vor Nordkorea und dem Iran. Was hält also internationale Unternehmen in Russland?

Eine einfache, oft zu einfach Antwort ist schlichtweg, dass Russland ein hochprofitabler Markt ist, noch jedenfalls. Wie die Daten etwa des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) zeigen, hat sich Russland sehr resilient gegenüber den Sanktionierungsmaßnahmen gezeigt und durch die stark hochgefahrene Rüstungsindustrie konnte das Wirtschaftswachstum 2023 mit 3,6% und 2024 mit prognostizierten 3,2% hochgehalten werden. Die Reallöhne steigen durch den leergefegten Arbeitsmarkt, die Arbeitslosenquote im April 2024 lag bei 2,6%. Der weitere Ausblick trübt sich freilich zunehmend ein, aber das ist eine andere Geschichte, vorerst. Hinzu kommt, dass sich die Konkurrenzsituation in Russland für die verbliebenen Unternehmen verbessert hat. Denn durch den Rückzug internationaler Konkurrenzunternehmen bleibt mehr vom Markt für die dagebliebenen. Das texanische Ölfeld-Service und Technikunternehmen SLB profitierte direkt von dem Rückzug seiner Konkurrenten wie ABB und Halliburton und konnte in Russland expandieren.

Rechtsunsicherheit und Enteignungsrisiken steigen

Dem lukrativen Markt stehen auch Risiken gegenüber, die Unternehmen zu einem Rückzug bewegen können. Da wären zuerst die intensivierten Sanktionen der USA und der EU, die für manche Sektoren und Produktgruppen, insbesondere Dual-Use Güter, strenge Einschränkungen bedeuten. Aber eben nicht alle Dienstleistungen und Produkte sind von Sanktionen erfasst. Eine Geschäftsbeziehung zu nicht-sanktionierten russischen natürlichen oder juristischen Personen ist ebenso nicht grundsätzlich untersagt. Das bedeutet in weiterer Konsequenz, dass Unternehmen selbst unter Einhaltung sämtlicher Sanktionsregelungen der USA und der EU in bestimmten Sektoren mit bestimmten Partnern geschäftlich tätig sein dürfen.

Ein Risko besteht darin, dass die in Russland erwirtschafteten Profite nur sehr schwierig und zunehmend kaum noch aus Russland ausgeführt werden dürfen. Hier greifen nämlich die Gegenmaßnahmen der russischen Behörden, um einen Exodus westlichen Kapitals zu verhindern. Profite aus Russland auszuführen ist nur unter strengen Auflagen möglich, deren Genehmigungen vielfach gar nicht oder sehr zeitverzögert erfolgt.

Weiters sehen sich internationale Unternehmen mit einer hohen Rechtsunsicherheit und Enteignungsrisiken konfrontiert. Als synchrone Maßnahmen für die Konfiszierung russischen Vermögens in westlichen Ländern steigt das Risiko in Russland unter Zwangsverwaltung gestellt zu werden, oder aber die Eigentümerschaft an lokale Geschäftsläute abtreten zu müssen.

Die administrativen und bürokratischen Hürden für einen Rückzug aus Russland sind sicher ein weiterer Grund, warum viele Unternehmen, die nicht gleich in der ersten Welle nach Kriegsbeginn das Land verlassen haben, immer noch präsent sind. Einen angemessenen Veräußerungserlös für seine russische Tochtergesellschaft zu erzielen, ist kaum möglich. Nicht jedes Unternehmen kann sich die daraus resultierende vollständige Abschreibung der oftmals beträchtlichen russischen Investitionen leisten.

Schließlich setzen vor allem ukrainische NGOs auf das Reputationsrisiko großer Unternehmen. Mit shaming und blaming Kampagnen in sozialen Medien wird versucht, medialen und öffentlichen Druck auf Unternehmen aufzubauen, die in- oder mit Russland Geschäfte machen. Der ethisch-moralische Kompass einer liberalen, westlichen, demokratischen Öffentlichkeit soll animiert werden, um Rechenschaft der in Russland aktiven Unternehmen einzufordern.

Allerdings zeigt das Reputationsrisiko für Unternehmen nur schwache Effekte. Erstens sind involvierte Unternehmen vielfach Nischenplayer, die kaum einer breiteren Öffentlichkeit bekannt sind. Zweitens, selbst große Markenartikelhersteller, die theoretisch einem enormen Reputationsrisiko ausgesetzt sind, scheinen relativ gelassen zu ihrem Russlandbusiness zu stehen. Nestle, Unilever und Mondelez sind in Russland aktiv. Mondelez ließ durch seinen CEO im Februar 2024 verlautbaren, dass sich Investoren nicht an moralischen Argumenten orientieren würden.

Eine Umfrage des Brand- und Reputationsberaters Caliber im Februar 2024 kam zu dem Schluss, dass vor allem US-Konsumentinnen und Konsumenten dem Russland Engagement eines Unternehmens kaum Bedeutung beimessen, europäische Konsumentinnen und Konsumenten zeigten eine etwas höhere Sensibilität. Die Verkaufszahlen von Milka Weihnachtsmännern und Osterhasen dürften dennoch nicht gelitten haben.

Westliche Unternehmen finden sich in einer Zwickmühle. Einem riskanten, aber noch lukrativen Markt mit inzwischen hohen Exitbarrieren stehen eine relativ indifferente Öffentlichkeit und eine lückenhafte Sanktionsregulierung und auch zögerliche Sanktionsdurchsetzung gegenüber. Eine Minderheit an Unternehmen hat sich angesichts der Kriegshandlungen zu einem schnellen Rückzug entschlossen, andere wählten eine Wait-and-see Strategie. Um das strategische Geschehen als Unternehmen selbst bestimmen zu können, und nicht zum Spielball externer Kräfte zu werden, müssen Unternehmen die gesamthafte Risikokonstellation identifizieren, die entscheidenden Stakeholder benennen, die Optionen evaluieren und die optimale Strategie managen können. Eine passive Wait-and-see Strategie ist sicher zu wenig.

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