Kaderschmieden der Nation: Die strategische Umgestaltung der Hochschullandschaft in Ungarn II

Kaderschmieden der Nation: Die strategische Umgestaltung der Hochschullandschaft in Ungarn II

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Die strategische Neuausrichtung der ungarischen Hochschullandschaft lässt sich nicht allein durch bildungspolitische oder administrative Reformziele erklären. Vielmehr ist sie Ausdruck eines tiefgreifenden Transformationsprojekts, das auf die Herstellung kultureller Hegemonie und die langfristige Sicherung autoritärer Regierungsfähigkeit abzielt. Im Zentrum dieses Projekts steht die bewusste Herausbildung neuer Eliten, die nicht nur fachlich qualifiziert, sondern auch politisch zuverlässig sind.

Diese Entwicklung manifestiert sich exemplarisch in zwei Schlüsselinstitutionen: der Nationalen Universität für den Öffentlichen Dienst (NKE) und der Neumann János Universität (NJE). Während die NKE als Kaderschmiede einer regimetreuen Staatselite fungiert und zunehmend Aufgaben im Bildungswesen übernimmt, spielt die NJE eine zentrale Rolle in der wirtschaftlich-technischen Reproduktion und wird gleichzeitig zum Experimentierfeld für eine eng mit politischen Netzwerken verflochtene Finanzarchitektur. Beide Fälle verdeutlichen die doppelte Logik der Transformation: Sie zielen auf die ideologische Formierung ebenso wie auf die materielle Umstrukturierung des Bildungssektors – getragen von einem autoritären Staatsverständnis, das sich auf die langfristige Kontrolle liberaler und oppositioneller Kräfte richtet.

Im Folgenden analysieren wir die Funktion und Struktur dieser beiden Institutionen als Pfeiler einer neuen hegemonialen Ordnung – und fragen, welche ideologischen, politischen und ökonomischen Dynamiken sich darin verdichten.

NKE: Schaffen einer regimetreuen Staatselite

Bereits frühzeitig erkannte die Orbán Regierung die Notwendigkeit, eine neue Elite auszubilden, die die Reformen des ungarischen Staats vorantreiben und der Nation dienen sollte.[i] 2012 öffnete die durch den Zusammenschluss dreier ehemaliger Einrichtungen oder Fakultäten (Staatsverwaltung, Militär und Polizeiausbildung) entstandene Nationale Universität für Öffentlichen Dienst (NKE) ihre Pforten. Ihre Mission ist es unter anderem, die ungarische nationale Identität, das kulturelle Erbe, die Bindung der Bevölkerung an das Land und die nationale Wettbewerbsfähigkeit zu schützen, sowie für den Aufbau eines Europas der Nationen einzutreten.[ii] Die NKE wird vom Staat großzügig unterstützt. Der Bau des neuen Campus hat einen Großteil der von der EU für den gesamten Hochschulbereich bereitgestellten Gelder verschlungen. Pro Studierenden wird an der NKE ca. drei bis viermal so viel Geld ausgegeben wie für einen durchschnittlichen Studierenden einer ungarischen Hochschule.[iii] Es ist daher nicht erstaunlich, dass die Universität eine Sogwirkung sowohl für Studierende als auch Lehrkräfte, die häufig besser bezahlt sind als an staatlichen Universitäten, auswirkt. NKE hat ca. 6000 Studierende. In Kürze wird sie sich zusätzlich auch in großem Stil in der Lehrerausbildung engagieren. In der neu eingerichteten István Nemeskürty Fakultät sollen ab September 2025 insgesamt 13 neue Ausbildungsgänge für insgesamt ca. 1300 angehende Kindergärtner, Grundschul- und Fachlehrer starten. Schwerpunkt der Ausbildung werden sozial- und geisteswissenschaftliche Fachrichtungen sein, die für die Bildung der nationalen Identität eine zentrale Rolle spielen. [iv] Zudem soll die Lehrerfortbildung stark zentralisiert werden, wobei die NKE die Ausarbeitung und Durchführung dieser Aufgabe übernehmen soll.

Diese neueste Aufgabe der NKE ist äußerst stark umstritten. Weder war die Fachöffentlichkeit an der Ausarbeitung der Pläne beteiligt, noch hat die NKE irgendeine Kompetenz in der Lehrerausbildung, während existierenden und zumeist unterfinanzierte Institutionen dadurch eine starke Konkurrenz erwachsen wird. Der Hintergrund der Reformen ist daher eher in den heftigen Konflikten mit Lehrern in den letzten Jahren zu vermuten.[v] Zwei Lehrerorganisationen – das Lehrernetzwerk und die Plattform für zivile öffentliche Bildung – sehen daher auch die Herausbildung einer neuen, „zuverlässigen“ Lehrergeneration und das Streben der Regierung nach kultureller Hegemonie als zentrale Motive hinter den Reformen. [vi]

Neumann János Universität: Schaffen einer wirtschaftlich-technischen Elite

Die Neumann János (ursprünglich Pallasz Athéné) Universität (NJE) entstand 2016 durch die Zusammenlegung der Hochschulen von Kecskemét und Szolnok. Sie wird von der Ungarischen Nationalbank über ihre Pallas Athéné Stiftung finanziert, in die 2014 200 Milliarden HUF aus den Devisengewinnen der Bank transferiert wurden. Die NJE hat drei Fakultäten: Ingenieurwesen und Informatik, Wirtschaftswissenschaften, sowie Gartenbau und ländliche Entwicklung. Bereits 2012 führte die Fakultät für Ingenieurswesen und Informatik das duale Ausbildungssystem nach deutschem Vorbild ein, und war damit Vorreiter in Ungarn. Keckemét ist eines der Zentren der deutschen Automobilindustrie – 2008 kündigte Daimler Benz seine Investitionspläne für Kecskemét an, und 2012 liefen die ersten Autos der B-Klasse vom Band – und spielt in der Industriepolitik der Regierung eine zentrale Rolle.[vii] 2020 wurde auch vereinbart, einen Fachbereich Waffenbau einzuführen, der in enger Kooperation mit einem lokalen Unternehmen durchgeführt wird.

Der Neugründung 2016 stand allerdings der Wunsch von Zentralbankchef György Matolczy Pate, in Kecskemét ein Zentrum für unorthodoxe Wirtschaftstheorie aufzubauen.[viii] Hierzu wurden Erträge der ungarischen Nationalbank an die Universitätsstiftungen abgezweigt und in neue Gebäude und Infrastruktur investiert, und die Universität noch einmal erheblich umstrukturiert. 2020 wurde sie in eine neue staatliche Stiftung überführt, die sowohl die ursprüngliche KEDO Stiftung übernahm wie auch neu ausgestattet wurde, insgesamt mit einem Finanzvermögen von 44 Milliarden HUF (derzeit ca. 110 Millionen Euro). 2021 kamen weitere 100 Milliarden HUF hinzu.[ix]  Die Zahl der Studierenden ist rapide angestiegen, und betrug im Jahr 2023/24 ca. 4000. [x]

Die Neumann – János Stiftung (NJA) ist personell eng mit Personen der Nationalbank und insbesondere ihrem ehemaligen Präsidenten, György Matolcsy verflochten. Vermutlich nicht von ungefähr sind nach seiner Ablösung alsNationalbankspräsident seine Stiftungen dann auch recht schnell in die Schlagzeilen gekommen. Der staatliche Rechnungshof wirft ihnen u.a. Veruntreuung von öffentlichen Geldern und Korruption vor.[xi] Besonders pikant für unseren Fall: Die NJA lieh die ihr anvertrauten öffentlichen Gelder an die zur PADME gehörenden Optima Befektetési Zrt. die einen erheblichen Teil davon in ausländische Immobiliengesellschaften investierte, die Verbindungen zum Geschäftsumfeld von Ádám Matolcsy, dem Sohn von György Matolcsy, haben. Damit hat Optima die ihr anvertrauten Gelder nicht nur verlustträchtig investiert, sie ist auch nicht in der Lage, die Anleihen der NJA zurückzuzahlen. Diese Tatsache war der Universitätsstiftung allerdings durchaus bekannt.

Deutlich wird dabei, dass das ideologische Projekt der ungarischen Rechten nicht nur auf die Formierung neuer Eliten zielt, sondern zugleich mit einer umfassenden Umstrukturierung der Eigentumsverhältnisse im Bildungssektor einhergeht. Der Transfer öffentlicher Mittel in private, regierungsnahe Stiftungsstrukturen verdeutlicht die enge Verbindung zwischen politisch-ideologischer Formierung und materieller Akkumulation, ganz wie es Antonio Gramsci mit seinem Hegemoniebegriff betont hat.

Gramscis Konzept der „organischen Intellektuellen“ erfährt in dieser Konstellation eine spezifische Aktualisierung: Es geht um die gezielte Herausbildung eines intellektuellen Kerns, der hegemoniale Narrative nicht nur reproduziert, sondern aktiv gestaltet – legitimiert durch akademische Institutionen, abgesichert durch wirtschaftliche Ressourcen und eingebunden in transnationale Netzwerke. In diesem Sinne sind Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit nicht als isolierte Interventionen zu verstehen, sondern als integrale Bestandteile einer hegemonialen Reorientierung, die auf die langfristige Transformation gesellschaftlicher Wissensordnungen abzielt. Gramscis Mahnung, dass Hegemonie stets ein umkämpftes Terrain bleibe, ist aktueller denn je – insbesondere angesichts der strategischen Konsolidierung rechter Bildungsprojekte, die über den nationalstaatlichen Rahmen hinauswirken und die Grundfesten liberaler Öffentlichkeit infrage stellen.


[i] Geva, D. and Santos, F.G. (2021) ‘Europe’s far-right educational projects and their vision for the international order’, International Affairs, 97(5), pp. 1395–1414.

[ii] https://en.uni-nke.hu/about-ludovika-ups/mission-vision-strategy

[iii] Hungary Turns its Back on Europe. Dismantling Culture, Education, Science and the Media in Hungary 2010-2019. Budapest 2020; http://oktatoihalozat.hu/wp-content/uploads/2020/01/angol.pdf

[iv] Kitti, F. (2024) Két oktatói szervezet szerint a Közszolgálati Egyetem induló tanárképzése mögött politikai-ideológiai-gazdasági stratégia húzódik meg, 444. Available at: https://444.hu/2024/05/22/ket-oktatoi-szervezet-szerint-a-kozszolgalati-egyetem-indulo-tanarkepzese-mogott-politikai-ideologiai-gazdasagi-strategia-huzodik-meg (Accessed: 28 April 2025).

[v] https://www.derstandard.at/story/2000140728508/umkaempfte-bildungspolitik-in-ungarns-illiberalem-regime

[vi] Zitiert nach: Kitti, F. (2024) Két oktatói szervezet szerint a Közszolgálati Egyetem induló tanárképzése mögött politikai-ideológiai-gazdasági stratégia húzódik meg, 444. Available at: https://444.hu/2024/05/22/ket-oktatoi-szervezet-szerint-a-kozszolgalati-egyetem-indulo-tanarkepzese-mogott-politikai-ideologiai-gazdasagi-strategia-huzodik-meg (Accessed: 28 April 2025).

[vii] https://gamf.uni-neumann.hu/

[viii] https://hvg.hu/kkv/20210328_matolcsy_gyorgy_kecskemeti_egyetem/nyomtatas

[ix] https://hu.wikipedia.org/wiki/Neumann_J%C3%A1nos_Egyetem

[x] https://www.baon.hu/helyi-kozelet/2023/07/kiderult-hany-diakkal-inditja-a-szeptemberi-szemesztert-a-neumann-janos-egyetem

[xi] https://telex.hu/gazdasag/2025/03/20/allami-szamvevoszek-neumann-janos-egyetemert-alapitvany-matolcsy-mnb-padme

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