(K)ein neues Eldorado für multinationale Unternehmen: Usbekistan zwischen Reformen und fortbestehenden politischen Risiken
Nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion im Jahr 1991 hat der zentralasiatische Staat Usbekistan keinen Systemwandel zu Demokratie/Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft vollzogen. Im Gegenteil, unter dem 2016 verstorbenen Staatspräsidenten Islam Karimov entwickelte sich Usbekistan zu einem der autoritärsten Staaten der Welt, gekennzeichnet durch massive Menschenrechtsverletzungen und einem Höchstmaß an Korruption. Ein Index der Nichtregierungsorganisation „Freedom House“, der die Freiheitsrechte in allen Ländern weltweit misst, zählte Usbekistan noch 2015 neben Turkmenistan, Saudi-Arabien, Syrien, Sudan, der Zentralafrikanischen Republik, Somalia und Nordkorea zu den „Schlimmsten der Schlimmen“ (Länder). Seit 2016 jedoch vollzieht Usbekistan unter Präsident Shawkat Mirsijojew einen unerwarteten Reformprozess.
Das Echo in Medien, weiterer Öffentlichkeit und unter Wirtschaftstreibenden zu den politischen und ökonomischen Reformen in Usbekistan könnte kaum positiver ausfallen. „Uzbekistan leitet unerwartete Wirtschafsreformen ein“ titelte kürzlich The Economist (7.3.2019), „Usbekistan überrascht die Finanzmärkte“ die NZZ (14.2.2019). Und die WKO spricht gar von einem „Reformfeuerwerk in Usbekistan“ (WKO News, 12.11.2018). Im Zeichen der Reformpolitik ging jüngst die Financial Times in einem Beitrag („Uzbekistan: why investors are propelled to ‘frontier’ markets“, 8.3.2018) den neuen Chancen für multinationale Unternehmen in Usbekistan nach.
Auch unsere Forschungsreise ins postsowjetische Zentralasien Ende 2018 offenbarte hohe Erwartungshaltungen der bereits in der Region tätigen europäischen Unternehmen. Während in der Wahrnehmung der befragten ManagerInnen Kirgisistan und Tadschikistan lediglich in isolierten Bereichen Geschäftschancen bieten (Export von Maschinen, Kraftwagen, chemische Produkte, Pharmazeutika, Elektrotechnik), gilt Turkmenistan nach wie vor als politisches Hochrisikoland, das derzeit zudem unter einer schweren Wirtschaftskrise leidet. In Kasachstan wurden die Geschäftschancen als stabil aber moderat eingestuft. Diese Wahrnehmung steht im Zusammenhang mit einem seit mehr als zwei Jahrzehnten praktizierten wirtschaftlichen Öffnungs- und Reformprozess bei jedoch niedrigen Wachstumsraten, fortbestehenden Strukturdefiziten und hohen politischen Risiken. Usbekistan erschien dagegen beinahe schon als eine Art aufsteigender Star unter den potentiellen Businessdestinationen. Ausschlaggebend hierfür sind nicht nur der Reichtum des Landes an Rohstoffen und der hohe Modernisierungsbedarf mit entsprechender Nachfrage nach westlichem Know-How und Technologie, sondern gerade der jüngste Reform- und Öffnungsprozess. Doch ist das Land tatsächlich eine lohnende Destination für multinationale Unternehmen? Wie ist es um die politischen Risiken in dem Land bestellt?
Zur Beantwortung
der Frage bietet sich ein Blick in die wissenschaftliche Literatur an. Dabei
fällt zweierlei auf. Zum einen sind bislang nur wenige Beiträge erschienen,
welche den 2016 eingeschlagenen Reformprozess hinreichend analysieren. Dies ist
unter anderem der geringen Zeitspanne geschuldet. Zum anderen wird deutlich,
dass die wenigen erschienenen Studien hinsichtlich des Umfangs und der
Nachhaltigkeit des eingeschlagenen Reformweges kaum Euphorie zulassen. Exemplarisch
hierfür steht eine in den Zentralasienanalysen erschienene Studie (Kadirzhanov,
2017), die darauf verweist, dass dem Reformprozess durch massive
Klientelinteressen, strukturelle Korruption und einflussreiche Vetokräfte enge
Grenzen gesetzt sind. Jedenfalls überraschte Präsident Mirsijojew mit seinem
neuen Kurs. So gelang es ihm beispielsweise, Rustam Inojatow, den einst
allmächtigen Chef des omnipräsenten Geheimdienstes zu entmachten und als
Berater an sich zu binden. Bemerkenswert ist auch, dass Mitte 2018 ein Beamter
aus dem deutschen Bundesministerium für Bildung nach Usbekistan entsandt wurde,
um die Stellung eines stellvertretenden Ministers für Innovation einzunehmen,
um den „Reform- und Innovationsprozess Usbekistans“ zu unterstützen, wie es
hieß. Doch können die bisherigen Reformschritte schon als Durchbruch gewertet
werden? Oder handelt es sich doch nur um reine Symbolpolitik?
Zunächst ist zu betonen, dass unter Mirsijojew tatsächlich bedeutende Wirtschafts- und Politikreformen implementiert wurden. Die Währung wurde freigegeben und abgewertet, der Devisenverkehr dereguliert, Handelsschranken und Visarestriktionen wurden abgebaut, die Kreditvergabe an Klein- und Mittelbetriebe (KMU) erleichtert. Das Investitionsklima wurde ferner durch Justiz- und Verwaltungsreformen verbessert. Die Reformen sind auch im öffentlichen Leben deutlich spürbar. Das politische Klima ist freier, Geheimdienst und Sicherheitsapparat sind weniger präsent. Im bedeutenden Baumwollsektor des Landes wurde die Zwangsarbeit abgeschafft. Letztendlich gab es bedeutende Verbesserungen im Hinblick auf die Einhaltung der Menschenrechte.
Zu beachten ist jedoch, dass die implementierten Reformen gerade deshalb so revolutionär erscheinen, da Usbekistan unter dem 2016 verstorbenen Präsidenten Islam Karimov zu den repressivsten und am meisten verschlossenen Staaten der Welt zählte. Hinzu kam ein Höchstmaß an Willkür, Klientelismus und Korruption. Nur wenige multinationale Unternehmen fanden unter diesen Bedingungen den Weg nach Usbekistan. Von dieser Konstellation ausgehend, steht Usbekistan heute noch ein langer Reformweg bevor. Und genau darin liegt die alles entscheidende Frage. Wie weit werden die Reformen am Ende reichen?
Zwar äußern sich auch Kritiker positiv zu Mirsijojews Reformen. Usbekistan ist aber noch immer ein hoch autoritärer Staat. Aussicht auf freie Wahlen und ein schnelles Ende der Medienzensur gibt es aber nicht. Gleiches gilt ihrer Ansicht nach für die Implementierung von Rechtssicherheit, der Garantie von Eigentumsrechten und des Schutzes der Unabhängigkeit der Justiz. Genau darin liegen bedeutende politische Risiken für multinationale Unternehmen. Zwar mag der Präsident in Zeichen einer „One Man Show“ diesen gegenwärtig den Rücken freihalten. Dies ist schon alleine seinem Machterhaltungsanspruch geschuldet. Die „Open-Door“-Politik ist letztlich der bedeutendste Pfeiler des gegenwärtigen sozioökonomischen Modernisierungsprozesses, den die urbanen Bevölkerungsschichten auch erwarten. Doch was passiert, wenn sich die offene Türe für multinationale Unternehmen in Zukunft auch nur ein wenig schließen sollte?
Dann wird sich als entscheidend erweisen, wie weit der Reformprozess bereits institutionalisiert ist, legal-formale Wege tragfähig sind und in der Praxis auch beschritten werden können. So lange sich dies jedoch nicht abzeichnet, bleibt Usbekistan für multinationale Unternehmen ein Land mit hohen politischen Risiken, vor allem bei langfristigen Projektlaufzeiten und kapitalintensiven Investitionen. Für kurz- und mittelfristige Export- und Projektgeschäfte mit kurzfristigen Zahlungsvereinbarungen besteht dagegen grundsätzlich ein Window of Opportunity.