A1 in Belarus: Im Sog politischer Risikodynamiken

A1 in Belarus: Im Sog politischer Risikodynamiken

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Unternehmen sind in ihrem Handeln aufs engste in den politisch-institutionellen Kontext eines jeden Landes eingebettet. Das gegenwärtig beste Beispiel hierfür liefern A1 Telekom Austria und das 100% Tochterunternehmen A1 Belarus.

Besondere politische Risiken gilt es in Ländern jenseits der OECD Welt zu managen, in denen Rechtsstaatlichkeit, formale Verfahren, Eigentumsrechte und Meinungsfreiheit nicht oder nur im eingeschränkten Ausmaß implementiert sind und durch politische Willkür immer wieder drohen ausgehebelt zu werden. In Phasen autoritärer Stabilität sehen sich Unternehmen in einem solchen Kontext mit einer berechenbaren Unberechenbarkeit konfrontiert. Im Falle einer politischen Destabilisierung und aufbrechenden Unruhen gerät die fragile Stabilität schnell aus den Fugen. Politische Risikodynamiken treten in Erscheinung, die Unternehmen ein durchdachtes Risikomanagementsystem abverlangen, wollen sie nicht in den Sog der Geschehnisse gezogen werden.

A1 und der Shutdown des Internets in Belarus

In Belarus ist A1 in den Sog politischer Risikodynamiken gezogen worden. Die Dynamik und Dramatik des Niedergangs machen den Fall zu einem Lehrbuchbeispiel der politischen Risikoforschung.

Als ab August 2020 die Massendemonstrationen in Belarus in Folge der Wahlfälschungsvorwürfe gegen den autoritären Langzeitherrscher Alexander Lukaschenko eskalierten, wurde auch das Internet lahmgelegt. Während der Netzanbieter A1 Belarus von „Gründen, die wir nicht kontrollieren können“ sprach (Kurier, 9.8.2020), geriet das Unternehmen in der Folgezeit als „Kollaborateur des Systems“ immer stärker in das Kreuzfeuer kritischer Medien, Opposition und der internationalen Zivilgesellschaft. Für A1 zeigte sich dabei, dass sich politische Risiken nicht allein als Reputationsverlust manifestieren können, sondern für Unternehmen schnell auch der Kernbereich profitorientierten Wirtschaftens betroffen sein kann. So forderte die Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja im Rahmen eines Besuchs in Österreich im April 2020 auf einem Flugblatt offen Sanktionen gegen A1 (und weitere in Belarus tätige österreichische Unternehmen). Derweil stellte sich das Unternehmen der Anschuldigung der Kollaboration und den Vorwürfen aktiv an der Sperre einzelner Webseiten der Opposition und kritischer Medien beteiligt und für die Überwachung von Daten mitverantwortlich zu sein, vehement entgegen (Standard, 16.6.2021). So wurden Argumente vorgebracht, dass betreffende Verfahren technisch nicht möglich seien, dass man für die Internetshutdowns nicht verantwortlich sei und im Übrigen die mit Belarus abgeschlossenen Verträge aus rechtlichen Gründen unbedingt zu erfüllen seien

A1 im Kreuzfeuer des belarussischen Regimes

Dass in umgekehrter Weise die belarussische Regierung die Erfüllung von Verträgen sehr wohl an politische Bedingungen knüpft, muss A1 Belarus gegenwärtig erfahren. Nachdem der Pressesprecher von A1 Belarus, Nikolaj Bredelew, mit dem Vorwurf sensible Unternehmensdaten, konkret Personendaten an “Extremisten” (Anm. an Oppositionelle) geleakt zu haben, festgenommen und durch die Veröffentlichung höchst privater Zusammenhänge öffentlich gedemütigt und diskreditiert wurde, wirft das Regime A1 nun einen Verstoß gegen „alle moralischen, ethischen und rechtlichen Normen und Regeln“ vor (Standard, 19.12.2021). Während A1 die Vorwürfe bestreitet, da Bredelew aufgrund seiner Funktion im Unternehmen technisch keine Möglichkeit eines Zugriffes auf Kundendaten gehabt habe, sind einmal mehr Reputation und wirtschaftliche Zukunft der Tochtergesellschaft bedroht. In letzterer Hinsicht vor allem aus dem Grund, dass das Lukaschenko direkt unterstellte und dem Geheimdienst KGB und Polizei übergeordnete “Operativ-Analytische Zentrum” (OAZ) für April eine Überprüfung von A1 Belarus angekündigt hat.

Gleichzeitig diskreditieren belarussische Staatsakteure die Reputation des Konzerns auf nachhaltigste Weise. So wendete sich der Propagandist Asarjonok im belarussischen Fernsehsender STW an den österreichischen Konzern: „Anstelle auf den Knien bei den Belarussen um Vergebung zu bitten, hätten dieser “Laden” (Anm: A1 Belarus) und die Botschafterin Österreichs noch frech geschrieben, dass man keine privaten Daten veröffentlichen dürfe.“ „Wenn euch (Anm.: ausländischen) Scheißbürgern dieser Staat nicht gefällt, in dem ihr wie verrückt Geld verdient, dann werdet ihr hier (Anm.: im Straflager) Bäume fällen”, so Asarjonok weiter. (Puls24, 12.12.2021)

State Capture als politisches Risiko in Belarus

Aus der Perspektive der politischen Risikoforschung ist der Fall A1 aus zweifacher Perspektive interessant. Zum einem spiegelt er exemplarisch jene politischen Risiken wider, welcher sich Unternehmen unter den Bedingungen autoritärer und informeller Herrschaftssysteme ausgesetzt sehen. Zum anderen gibt der Fall zu einem gewissen Grad auch eine Antwort darauf, ob für Unternehmen in autoritären Systemen eher Chancen oder aber Risiken zum Tragen kommen.

In demokratischen Rechtsstaaten sind Eigentums- und Vertragssicherheit durch ein ausgewogenes System der Gewaltenteilung, funktionierender Gerichtsbarkeit, formalisierter bürokratischer Verfahren und entpersonalisierter Herrschaft gewährleistet. Umgekehrt zeichnen sich autoritäre Systeme durch fehlende Gewaltentrennung aus. Gerichte und bürokratische Verfahren funktionieren nicht oder nur in eingeschränkter Weise. Vielmehr sind Willkür und eine berechenbare Unberechenbarkeit Wesensmerkmale solcher Systeme. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass private Netzwerke wie Familiensippschaften, Clans, oligarchische Netzwerke (etc.) alle politischen Institutionen be- und durchsetzen und staatliche Macht unter diesen Bedingungen zu einem Instrument der Verwirklichung ureigener privater Interessen verkommt. Angetrieben werden solche Systeme – die in der Wissenschaft unter dem Begriff „State Capture“ gefasst werden – durch Machterhalt und Selbstbereicherung.

Unternehmen wird nachgesagt, dass sie unter den Bedingungen personalisierter autoritärer Herrschaft einerseits Vorteile erfahren, da ein leichter und schneller Zugang zu politischen Entscheidungsträgern gewährleistet ist und gleichzeitig komplizierte und langwierige Ausschreibungsverfahren dadurch umgangen werden können. Tatsächlich zeigt die politische Risikoforschung auf, dass dies besonders dann gilt, wenn Unternehmen westliches Knowhow und Technologie anbieten können, die im lokalen Kontext nicht vorhanden sind, aber benötigt werden.

Win-Win-Konstellationen und „freundschaftliche“ Patron-Klienten Beziehungen zu den Entscheidungsträgern wiegen dabei zu einem gewissen Grad die Rechtsunsicherheit auf. Verstößt ein Unternehmen jedoch gegen die ungeschriebenen Regeln und Herrschaftsinteressen, droht der jähe Absturz ohne abschließendes Sicherheitsnetz funktionierender Gerichtsbarkeit. Als letzte Instanz bleibt dann nur ein internationales Schiedsverfahren. A1 befindet sich im freien Fall. Ob sich dieser noch abfangen lässt, liegt nun nicht zuletzt in den Händen des politischen Risikomanagementsystems des Konzerns.

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