Die Krise in Kasachstan: Frustrierte Bevölkerung und politische Machtkämpfe als politische Risiken.

Die Krise in Kasachstan: Frustrierte Bevölkerung und politische Machtkämpfe als politische Risiken.

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Am 19. Jänner 2022 erklärte der kasachische Außenminister Muchtar Tileuberdi in Wien, dass die Lage in Kasachstan wieder unter Kontrolle sei. Gleichzeit betonte der österreichische Außenminister die Bedeutung von Frieden und Stabilität sowie Rechtsstaatlichkeit für Investoren und Bevölkerung.

Beide Politiker verstehen die politischen Risiken, die mit einem unkontrollierten Machttransfer einhergehen. Unternehmen sind ebenso gut beraten, diese Dynamiken genau zu beobachten und zu analysieren, um mögliche negative Konsequenzen rechtzeitig zu erkennen und managen zu können

Die unmittelbaren Nachwirkungen der politischen Unruhen in Kasachstan Anfang Jänner 2022 sind ebenso ernüchternd wie tragisch: Offiziell bestätigt sind über 200 Tote, an die 10.000 Protestierende wurden festgenommen. Parallel zu den Straßenschlachten fand auch ein politischer Kampf zwischen dem amtierenden Präsidenten Kassym-Schomart Tokajew und seinem Vorgänger, dem ersten Präsidenten Kasachstans nach dem Zerfall der Sowjetunion, Nursultan Nasarbajew, und deren jeweiligen Netzwerken statt. Derzeit deutet vieles auf einen Sieg des amtierenden Präsidenten Tokajew hin.

Weniger klar ist, was genau in Kasachstan zwischen dem 5. und dem 11. Jänner 2022 geschehen ist. Ebenso unklar ist, welche mittelbaren Konsequenzen die Unruhen nach sich ziehen werden.

Erhöhung der Energiepreise als Auslöser

Ausgangspunkt der Unruhen war eine Liberalisierung der staatlich subventionierten Gaspreise von Butan und Propan um Versorgungsengpässe zu vermeiden. Diese Maßnahme führte zu einer Verdoppelung der Preise für Treibstoffe, da viele KasachInnen das billigere Gas als Treibstoff für ihre Autos nutzen. Obwohl Kasachstan ein rohstoffreiches Land ist, häufte nur eine kleine Gruppe an Oligarchen und ihnen nahestehenden Netzwerken enormen Reichtum an, während der Großteil der Bevölkerung kaum davon profitierte. Die Verdopplung der Gaspreise wird als ein Schlag ins Gesicht durch eine abgehobene, ignorante und korrupte Elite wahrgenommen. Ausgehend von der Stadt Zhanazoen breiteten sich die Ausschreitungen im ganzen Land aus.

Dieses Momentum nutzten die beiden Machthaber im Kampf um ihre Vormachtstellung. Nasarbajew mobilisierte seine Netzwerke, um Unruhe und Chaos im ökonomischen Zentrum des Landes, Almaty, zu schüren. Tokajew wiederum stützte sich auf eine Intervention der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), einem Militärbündnis von Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgistan, Russland und Tadschikistan.

Vorerst scheint sich der durch Russland unterstützte Präsident Tokajew durchgesetzt zu haben. Nasarbajew und seine Netzwerke wurden aus wichtigen Ämtern des Sicherheitsapparates und der Öl/Gasindustrie entfernt, Tokajew selbst konzentriert mehr Macht in seinen Händen.

Dabei war es Nursultan Nasarbajew selbst, der in Kasachstan seinen Wechsel als offizielles Staatsoberhaupt gründlich vorbereitete. Er trat 2019 als Präsident zurück, agierte aber weiterhin im Hintergrund als Vorsitzender des nationalen Sicherheitsrats mit weitreichenden Vollmachten. Dieser kontrollierte Machttransfer wurde vielfach als „Role Model“ für weitere anstehende Herrschaftswechsel in der Region gesehen.

Was vor zwei Jahren als friktionsfreier Übergang von Nasarbajew auf Tokajew gefeiert wurde, entpuppt sich nun als weniger gesichert als oft angenommen.

Unsichere Lage in Kasachstan als politisches Risiko

Der Machttransfer kann ein bedeutender politischer Risikofaktor sein. Politisches Risiko bezieht sich auf sämtliche Handlungen oder Entscheidungen öffentlicher Einrichtungen und/oder nichtstaatlicher Akteure, die in diesem Auslandsmarkt präsent sind und Einfluss auf die Geschäftstätigkeit des internationalen Unternehmens haben und negativ auf dessen Performance wirken. Enteignungen, Zahlungsausfälle, Kriege, Sanktionen oder willkürliche Gerichtsbarkeit sind Beispiele für politische Risiken. Politische Risiken entstehen sowohl auf globaler wie auf nationaler Ebene und können außenpolitische (externe) oder innenpolitische (interne) Gründe haben.

Multinationale Unternehmen sollten die interne politische Risikokonstellation genau verstehen, denn im Landeskontext finden sich mitunter die gravierendsten Risiken. Dies ist auf das gemeinsame sowjetische Erbe dieser Länder zurückzuführen, in dem Defizite im institutionellen Gefüge und im Rechtssystem wurzeln. Eines dieser Defizite bezieht sich auf die Regelung des Machttransfers. Das Modell der westlichen Demokratie setzt auf Wahlen und eine stabile Bürokratie, so dass es selbst in mitunter länger dauernden Regierungsbildungen zumindest teilweise handlungsfähig bleibt, wie sich etwa in Belgien nach den Parlamentswahlen von 2010 zeigte, als die Regierungsbildung 541 Tage dauerte. Freilich mussten strategisch bedeutende politische Projekte zuwarten, aber das Land konnte dank der funktionierenden Bürokratie weiter verwaltet werden. Im Gegensatz dazu sind die Systeme im postsowjetischen Raum sehr personenzentriert und deshalb für anfälliger für Turbulenzen im Machtwechsel.

Ein politischer Machttransfer kann unmittelbar negativ auf ein Unternehmen wirken, wenn etwa ein ungeregelter Machttransfer ins politische Chaos führt, wenn jahrelang aufgebauten Netzwerke plötzlich wegbrechen und somit Projekte mit öffentlichen Auftraggebern in Gefahr sind.

Mittelbar bedeutend ist ebenso, ob mit dem Machtwechsel auch eine Änderung der bisherigen Politik einhergehen wird. Gerade im postsowjetischen Raum ist diese Frage aufgrund der geopolitischen Bruchlinien zwischen Russland, der EU bzw. USA und zunehmend auch China besonders relevant. Diese führen dazu, dass jeder neue Machthaber stets vor der Alternative nach pro-westlicher oder pro-russischer Orientierung steht. Die Konflikte in der Ukraine, Belarus und nun auch in Kasachstan zeigen den unbedingten Willen der Machtzirkel in Russland, Stabilität sicherzustellen, oppositionelle Tendenzen zu unterbinden und ihren Einfluss auszubauen, wenn sich die Möglichkeit dafür.

Hält Tokajew seine Versprechen?

Konkret auf Kasachstan übertragen stellt sich die Frage, welche Clans zukünftig welche Bereiche der Wirtschaft und der Politik kontrollieren?

Ebenso wird sich die Frage nach der zukünftigen politischen Gestaltung des Landes stellen. Tokajew hat Nasarbajew und seine Günstlinge beschuldigt, unglaublichen Reichtum angehäuft zu haben, während ein Großteil der Bevölkerung mit spärlichen Ressourcen auskommen muss und gefordert, das Einkommen des Landes gerechter zu.

Schließlich wird sich auch noch zeigen, wie Tokajew mit Korruption und State Capture umgehen wird. Den Unmut der Bevölkerung erkennend, positioniert sich Tokajew jetzt als Modernisierer und verspricht sowohl ökonomische als auch politische Reformen. In einer Ansprache an das Parlament am 11. Jänner 2022 skizzierte er seine Überlegungen einen modernen Wohlfahrtsstaat aufzubauen. Ob diese Versprechen auch umgesetzt werden, muss sich nun zeigen.


Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2022_Kazakhstan_protests_%E2%80%94_Aqtobe,January_4(01)_(cropped).jpg / Fotograph*in: Esetok / Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en / No changes made

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